0875 - Medusas Tochter
oberhalb des Eingangs waren nicht mehr als starre Schattengespenster.
Sie dachte daran, daß eine Geisterbahn genau paßte. Nur war der Horror dort nicht echt, während Parker tatsächlich seinen zu Stein gewordenen Sohn begraben hatte.
Jane lief nicht bis zur Bahn. Auf halber Strecke blieb sie stehen. Vor dieser Gruselbude, in einer breiten Gasse, hatte sie nicht nur eine, sondern mehrere Bewegungen wahrgenommen. Wie Geister waren die Menschen dort aufgetaucht, als hätten sie ihre unsichtbare Welt verlassen. Die Personen bewegten sich langsam, aber sie kamen Jane dabei vor, als würden sie Turnübungen machen.
Seltsam…
Alles geschah in einem zeitlupenhaften Tempo. Andere wiederum standen völlig bewegungslos, dabei in verdrehter Haltung, als wären sie selbst zu Stein geworden. Wieder andere bildeten regelrechte Figuren, kleine Kunstwerke, standen auf ihren Zehenspitzen, als wollten sie irgendwelche Sockel nachahmen.
Jane wunderte sich darüber. Sie konnte es nicht begreifen. Diese Schau hier in der tiefen Nacht oder am frühen Morgen kam ihr so ungewöhnlich und unerklärlich vor.
Noch etwas fiel ihr auf.
Niemand sprach mit dem anderen. Die Gestalten blieben stumm. Jede lebte für sich. Sie kommunizierten auch nicht durch Gesten miteinander, da war jede Gestalt eine Insel.
Mit dieser nächtlichen Performance kam Jane Collins nicht zurecht. Sie wußte auch nicht, wie und ob sie diese Gestalten mit der Person der Medusa in einen Zusammenhang bringen sollte. Die Medusa sorgte dafür, daß Menschen bei ihrem Anblick zu Stein wurden. Vor ihr schienen gewisse Personen diese Tatsache zu kopieren, allerdings auf ihre spezielle Art und Weise.
Es hatte keinen Sinn, wenn sie nur dastand und zuschaute. Um herauszufinden, was da ablief, mußte sie schon näher an die seltsamen Künstler herangehen. Jane war couragiert genug, um ihnen auch entsprechende Fragen zu stellen.
Obwohl einige in ihre Richtung schauten, nahm niemand von ihr Notiz. Jane konnte frank und frei auf die Freiluftbühne zugehen. Niemand hielt sie auf oder sprach sie an, und als sie neben der ersten Gestalt stehenblieb, da hatte sie tatsächlich den Eindruck, eine Steinfigur zu sehen.
Es war ein junger Mann, der vornübergebeugt auf dem Fleck stand. Die Hände hatte er gekrümmt, die Arme dabei weit ausgestreckt, als wollte er nach irgend etwas greifen. Die Haltung erinnerte Jane an die eines Schwimmers auf dem Startblock.
Sie mußte den Mann bewundern. Er hatte sich vollkommen in der Gewalt. Er atmete zwar, nur war nichts davon zu merken. Er war als Lebender einfach erstarrt.
Jane berührte ihn nicht. Ein Tippen mit dem Finger hätte ihn stören können, und das wollte sie nicht. Statt dessen schaute sie sich die anderen Künstler an, die sich vor der Geisterbahn in der breiten Gasse verteilten.
Gestalten, die sich nicht bewegten. In Schönheit oder Demut erstarrt. Jede zeigte eine andere Figur, und Jane kam es vor, als wollten sie durch die Art von Bewegungen die Medusa hervorlocken.
Aber die kam nicht.
Statt dessen schauten die Monster von der Geisterbahn auf sie herab. Sie glotzten auf Jane nieder, als wollten sie jeden Augenblick nach unten fallen und sie entführen.
Die lange Bahn lag im Dunkel. Auf der Schiene standen die Wagen in einer Reihe. Die Ein- und Ausgangstüren waren verschlossen. Jane kam in den Sinn, daß sich die Geisterbahn bestens für einen echten Dämon als Versteck eignete.
Jane bewegte sich wie eine langsame Slalomläuferin zwischen den Gestalten hindurch. Sie wurde mit keinem Wort angesprochen, und sie wußte nicht mal, ob man sie überhaupt wahrnahm. Jedenfalls kümmerte sich keine Gestalt um sie.
Jane beschloß, Josh Parker nach diesen seltsamen Gestalten zu fragen. Er würde sicherlich mehr darüber wissen.
»Guten Morgen, Miß!«
Jane Collins schrak zusammen, als sie die Stimme hörte. Ein Mann hatte sie angesprochen. Er war praktisch mit der Fassade der Geisterbahn verwachsen gewesen, so zumindest war es Jane vorgekommen. Nun aber trat er hervor.
Jane schaute ihn an. In der Dunkelheit war er nicht genau zu erkennen. Sie sah wohl, daß er groß und auch dunkelhaarig war. Als er stehenblieb, fragte er: »Gefallen Ihnen meine Puppen?«
»Puppen?«
»Ja, die Living Dolls.«
»Interessant, die lebenden Puppen.«
»Das sind sie.«
Jane schaute sich um. »Es ist seltsam, mir kommen sie eher vor, als wären sie nicht am Leben, sondern erstarrt.«
»Stimmt, das ist gerade der Trick dabei. Unsere Besucher
Weitere Kostenlose Bücher