0875 - Medusas Tochter
Horror-Oma.
»Nein.«
»Aber es ist nur eine Figur, mein Junge.«
Ich mußte lachen, denn ich hatte ihrem Tonfall entnommen, daß sie daran nicht glaubte. »Eine Figur ist sie im eigentlichen Sinne nicht«, sagte ich. »Wahrscheinlich denkst du das gleiche wie ich.«
»Was denn?«
»Ein zu Stein gewordener Mensch, der bei diesem Vorgang starb. Das ist es doch.«
»Ja.«
»Ein Schausteller.«
»Sehr richtig, und nicht der erste.«
Ich holte tief Luft. »Nicht der erste, der bei einem bestimmten Anblick zu Stein geworden ist.«
Lady Sarah wurde präziser. »Beim Anblick der sagenhaften Gestalt der Medusa.«
»Exakt.«
»Es gibt sie also«, stellte Sarah nach einer kleinen Pause fest.
Ich schaute auf das Steuer. »Das glaube ich nicht so recht. Nicht die Urmedusa.«
»Aber du hattest schon mit ihr zu tun.«
»Ich bewundere dein Gedächtnis. Und ich gebe auch zu, daß diese Fälle zurückzuführen waren auf die griechische Mythologie. Sie sind also wieder erwacht.«
»Und sie haben sich ihre Opfer geholt.« Sarah streckte die Beine aus und richtete ihren Hut. »Da hat mich Jane auf eine Spur hingewiesen. Alle Taten geschahen im Schausteller-Milieu. Man hat es dort geheimhalten können, zumindest vor der Öffentlichkeit. Aber jetzt bist du gefordert, John.«
Ich drehte den Zündschlüssel und startete den Motor. »Dieser Herausforderung werde ich mich gern stellen. Ich mag zwar Frauen, das weißt du, aber keine, auf deren Köpfen Schlangen wachsen…«
***
Ein Generator versorgte den Wagen mit der nötigen Energie, und Josh Parker hatte nicht gelogen, in dem Wagen war reichlich Platz, und die beiden saßen in der Mitte des Wagens, wo auch die Sitzbänke standen und der Kühlschrank nicht weit entfernt war.
Aus ihm hatte er zwei Dosen Bier geholt, denn auch Jane konnte einen Schluck vertragen. Auf den Brandy hatte sie allerdings verzichtet und Parker das Feld überlassen.
Zwei kippte er schnell hintereinander, dann schob er das Glas zur Seite und schaute dumpf auf den Tisch, der mit einer blauweißen Decke belegt war. »Sie stammt noch von meiner Frau«, murmelte er. Mit den flachen Händen strich er einige Falten gerade.
Jane gönnte ihm eine Pause. Erst dann fing sie an zu sprechen. »Ich weiß, wie Ihnen zumute ist, Mr. Parker. Aber wir beide wollen doch, daß das Rätsel um den Tod Ihres Sohnes aufgeklärt wird.«
»Natürlich.«
»Deshalb sollten Sie mir auch einige Fragen beantworten. Es mag Ihnen, unwichtig erscheinen, aber auch ich muß nach gewissen Methoden vorgehen, wie Sie sich denken können.«
»Sicher, fragen Sie.«
»Ihr Sohn muß seinem Mörder in die Falle gelaufen sein, das kann man so sehen. Und es ist hier auf dem Gelände geschehen. Möglicherweise befindet sich der Mörder unter ihren Kollegen.«
»Das kann ich nicht glauben«, sagte er.
»Ich auch nicht, aber wir sollten es nicht außer acht lassen. Der Mörder kennt sich hier aus. Er hat wieder einmal sein Zeichen hinterlassen. Das haben meine Auftraggeber erfahren und haben mich deshalb hergeschickt. So weit, so gut.« Jane hob den rechten Zeigefinger. »Ich möchte, daß Sie sich an die letzte Zeit erinnern, in der sie mit Ihrem Sohn Freddy zusammen gewesen sind.«
»Das ist einfach und trotzdem schwer. Wir sind unserer Arbeit nachgegangen und haben Lose verkauft.«
»Damit habe ich auch gerechnet.«
»Dann weiß ich nicht, auf was Sie hinauswollen, Miß Collins.«
Jane schob die an einer Schiene angebrachte Lampe etwas zur Seite, um nicht geblendet zu werden.
»Ich möchte Sie einfach nur fragen, ob Ihnen an Ihrem Sohn etwas aufgefallen ist.«
Parker krauste die Stirn. »Was sollte mir denn aufgefallen sein?«
»Hat er sich Ihnen gegenüber verändert gezeigt? Ist er traurig gewesen oder euphorisch? Hat er durch irgendwelche Worte oder auch nur durch die Blume anklingen lassen, daß ihn etwas gestört hat? Gab es ein Problem, über das er mit Ihnen sprechen wollte?«
Der Schausteller schüttelte den Kopf. »Nichts dergleichen, Miß Collins. Das ist es eben. Freddy war wie immer. Weder traurig noch euphorisch. Er hat sich völlig normal verhalten und Lose verkauft. Er war der Mann am Mikrofon, er hat versucht, die Kunden durch flotte Sprüche an den Wagen zu locken. Ich habe nichts an ihm festgestellt.«
So leicht gab Jane nicht auf. »Und nach Feierabend?«
»Wie meinen Sie das?«
»Nachdem der Jahrmarkt geschlossen wurde?«
»Da haben wir hier am Tisch gesessen, ein Bier getrunken und die Einnahmen
Weitere Kostenlose Bücher