0886 - Todesjagd
Silvanas Hütte zu. Dort angelangt, klopfte er mehrmals gegen die angelehnte Tür.
»Weshalb ist die nicht verschlossen?«, wollte Douglas Clifford wissen. »Darauf legt sie doch sonst immer Wert.«
»Was weiß denn ich!«, brummte Lopez und stieß die Tür ganz auf. Das Quietschen in den Türangeln bewies, dass schon lange nicht mehr geölt wurde.
Er ging zwei Schritte in die Hütte hinein, blieb stehen und versuchte, im abgedunkelten Zimmer etwas zu erkennen. Mit zusammengekniffenen Augen sah er vor sich etwas rötlich aufglühen. Tief sog er die süßliche Luft ein.
»Kräuter und magische Zutaten«, flüsterte Lopez.
»Woher weißt du das?«
»Wenn du sie so lange kennen würdest wie ich, müsstest du nicht so dumm fragen.«
Aus dem hintersten Winkel der Hütte erklang Stöhnen. Es hörte sich an, als stünde eine Gitarrensaite kurz vor dem zerreißen.
»Silvana? Bist du das?« Clifford nahm sein Feuerzeug aus der Jackentasche und entzündete es. Im fahlen Lichtschein erkannte er, dass eine Gestalt am Boden lag. Im Nu knieten sie neben der reglosen Frau. Clifford blickte sich kurz um und zündete zwei der vielen Kerzen an, die hinter Silvana standen.
»Silvana, mein Gott, was ist geschehen?«, stammelte Julio Lopez als er sah, dass die Waldhexe blutete. Er bekreuzigte sich und murmelte etwas, das sich wie »Madre de dios« anhörte. Nach dem ersten Schrecken besann er sich darauf, die Lebensfunktionen der Frau zu überprüfen.
Er fühlte Silvanas Puls und kontrollierte ihre Atmung. Beides war schwach vorhanden. Clifford legte eine Hand auf Silvanas kalte Stirn.
Die Waldhexe lächelte. Alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen, das nun wächsern und zerbrechlich aussah.
»Angelique.« Sie brachte nur dieses eine Wort heraus, immer wieder von Hustenanfällen unterbrochen.
»Die Frau, der du schon seit Jahren vergeblich versuchst zu helfen?« Lopez' Stimme klang hart. Undankbarkeit war etwas, das er auf den Tod nicht ausstehen konnte.
Silvana nickte kaum merklich.
»Sie wollte es eigentlich nicht!«, stieß Silvana zusammenhanglos hervor. »Ihre Brüder…«
»Was ist mit ihnen?«, fragte Douglas Clifford. Er hatte keine Ahnung, vom wem Silvana redete.
»Ihr müsst gehen«, sagte die Hexe, ohne auf die Frage einzugehen. Langsam wurde ihre Stimme verständlicher. »Ich gehe auch… bald…«
Lopez und Clifford sahen sich bedeutungsschwer an.
»Was soll das bedeuten?«, wollte der Kalifornier wissen.
»Ich habe sie… besiegt, aber das… wird sie erst noch erkennen.« Silvana schloss die Augen vor Erschöpfung. »Zamorra! Julio, du musst ihm… Bescheid geben…«
»Ich fahre dich in die nächste Station«, bot Lopez an. Silvana verzog die Lippen zu einem bitteren Lächeln. Sie schüttelte den Kopf.
»Du hast schon so viel… für mich getan, Julio…«
Das letzte Wort erschien ihm zu kurz, es war, als wollte sie noch etwas hinzufügen. Aber er kam nicht zum Nachdenken, was das sein könnte, denn ihr Körper leuchtete hell auf.
Lopez und Clifford wichen instinktiv etwas zurück. Das Leuchten verlosch nach wenigen Sekunden.
Und dann war Silvana, die Waldhexe, verschwunden, als habe sie nie existiert.
***
Es wurde schnell dunkel in diesen Breiten. Selbst am Tag herrschte durch die nah beieinander stehenden Baumriesen oft eine beklemmende Düsternis.
Nicht weit vom Rand des Dschungels entfernt wachte eine Frau übergangslos auf. Die Frau lag auf dem Ast eines Baumes; sie hatte geträumt. Aber es war kein normaler Traum gewesen.
Sie war nicht sicher. War es nicht eher so etwas wie - ein Ruf ? Wie die Lockungen der Sirenen - denen niemand widerstehen konnte - in den alten griechischen Sagen? Oder wie eine Art magnetische Anziehungskraft?
Sie wusste es nicht, und es war ihr auch egal. Wichtig war nur für sie, dass sie ihr Ziel erreichte und Antwort auf die quälenden Fragen fand.
Ihr war bewusst, dass sie sich auf der Flucht vor einer weiteren seelischen Pein befand. Etwas, das sie bei weitem mehr quälen konnte, als es körperliche Schmerzen jemals vermochten. Und das war das Schlimmste von allem, schlimmer noch als die Vorstellung, dass ihre beiden Brüder tot waren.
Sie hatte menschliches Blut getrunken! Etwas, was sie bisher immer verabscheut hatte. Schlimmer noch, sie hatte die Frau getötet, die ihr die letzten Jahre geholfen hatte, zu überleben.
In Würde zu überleben, fügte Angelique Cascal in Gedanken hinzu. Sie war geschockt über ihr eigenes Verhalten. Wie oft hatte sie sich
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