0893 - Der Rachegeist
hörte sie als böses Flüstern oder Kichern, als sie sagte: »Jetzt bin ich bei dir. Jetzt habe ich dich. Ich mache mit dir den Anfang. Hörst du?«
Sie konnte weder nicken noch sprechen. Glenda mußte es einfach hinnehmen. Noch immer stand sie vor dem Tisch, ohne daß auch nur ein Wort über ihre Lippen drang, obwohl sich der Mund bewegte.
Es war nur mehr ein Zucken der Lippen, nichts anderes.
Ihre Augen brannten. Das Gesicht fühlte sich heiß an, obwohl sie noch nicht nachgetastet hatte.
Alles war so schrecklich anders geworden. Sie versuchte verzweifelt, ihre eigenen Gedanken durch diese Mauer zu bringen, was ihr ebenfalls nicht möglich war, denn das andere Bewußtsein überschwemmte sie wie eine Woge aus bösen, tödlichen und grauenhaften Gedanken.
Dann war es vorbei.
Das Rieseln hörte auf. Sie konnte ihre Arme wieder bewegen und hob sie hoch. Tief holte sie Luft, schüttelte den Kopf und drehte sich mit steifen Bewegungen herum, obwohl sie es eigentlich nicht wollte, aber jemand war dabei, ihr einen Befehl zu geben und sich einem Spiegel zuzuwenden, der an der Wand hing.
Er hatte in Kopfhöhe seinen Platz gefunden, und Glenda konnte direkt in ihn hineinschauen.
Sie sah ihr Gesicht - und erschrak!
Himmel, es hatte sich verändert. Zwar war es vom eigentlichen Aussehen her gleich geblieben, die andere Kraft hatte für keine Mutation gesorgt, aber es lag an der Farbe, die sie so tief erschreckt hatte. Das war keine normale Gesichtsfarbe mehr, sie war dunkler, ging schon ins Violette. Schimmerten die Adern durch, oder hatte es einen anderen Grund?
Ihr Mund zuckte und erstarrte in einer fratzenhaften Stellung. Die Augen waren groß, und genau diese Augen erschreckten Glenda abermals. Das war nicht mehr ihr normaler Blick. In den Pupillen hauste etwas, das einzig und allein mit dem Wort böse und abstoßend umschrieben werden konnte.
Augen, die nicht mehr ihr gehörten und trotzdem die ihren waren. Sie konnte atmen wie immer, aber jedes Luftholen war von einem Knurrlaut begleitet.
Glenda drehte sich um.
Auch das hatte sie nicht gewollt. Die andere Macht in ihr hatte ihr den Befehl gegeben.
Sie streckte den rechten Arm aus, obwohl sie es eigentlich nicht wollte. Auch die Finger streckte sie vor, deren Nägel auf einen bestimmten Gegenstand zielten.
Es war eine normale Küchenschublade. Und wie es sich für eine normale Küchenschublade gehörte, verteilten sich darin Gabeln, Löffel und Messer.
Besonders die Messer hatten es ihr angetan. Allerdings nicht die, die zum Besteck gehörten, sie schaute ein Fach weiter, wo die Brot- und Fleischmesser lagen.
Ihre Klingen waren schärfer und länger!
Beinahe zärtlich strich Glendas Hand über die Griffe der Messer hinweg und berührte hier und da auch den kalten Stahl einer Schneide, doch immer so, daß sie sich selbst nicht schnitt. Sie wollte nicht ihr eigenes Blut fließen sehen, sondern das der anderen.
Ja, das wäre gut, das wäre genau ihr Ziel, und ein böses, kaltes Lächeln umspielte ihre Lippen.
Sie schluckte.
Ihr Speichel schmeckte ungewöhnlich bitter.
Sie griff nach einem Messer. Ihre Finger legten sich um den Griff aus massivem Holz. Dabei nickte sie zufrieden, denn der Gegenstand lag gut in der Hand.
Sie war zufrieden.
Stahl schabte über Stahl, als sie das Messer aus der Schublade hervorzog. Aus glanzlosen Augen schaute sie sich die Klinge genauer an, die sie an eine längliche Spiegelscherbe erinnerte, denn sie konnte sich selbst darin sehen.
Das war gut, sehr gut sogar. Ein fast perfektes Messer, stark im Griff und stark in der Klinge.
Die Luft saugte sie durch die Nase ein, als sie die Mordwaffe aus der Lade holte. Für sie war es kein normales Messer mehr, sondern eben eine Waffe, um andere zu töten. Um die Klinge durch Haut, Muskeln und Fleisch zu stoßen.
Glenda drehte sich um. Trotz allem hatte sie ihre eigene Aufgabe nicht vergessen.
Sie hatte Kaffee kochen wollen, die anderen warteten darauf, und sie würde ihnen auch den Kaffee bringen. Mit der linken Hand nahm sie die Kanne, in der rechten Hand hielt sie das Messer, aber sie hatte es hinter ihrem Rücken versteckt.
Noch ein rascher Blick in den Spiegel!
Die andere Farbe war aus ihrem Gesicht verschwunden. Es gab keine violette Haut mehr, nur noch die normale, wenn auch leicht gerötet, das aber würde kaum auffallen.
Mit dem Ellbogen öffnete Glenda die Tür und verließ die Küche.
***
Ich saß so, daß ich einen Blick auf die Küchentür werfen konnte und war
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