09 - Befehl von oben
möglich hinausgezögert, doch schließlich mußte seine Feigheit aufgeben.
Die Durling-Kinder schwebten zwischen der Benommenheit des Nichtwahrhaben-Wollens und dem Schrecken, die Zerstörung ihrer Welt miterlebt zu haben, als sie ihrem Vater im Fernsehen zugeschaut hatten. Mom und Dad würden sie nie wiedersehen. Die Körper waren zu sehr zerschmettert, als daß die Särge hätten geöffnet sein dürfen.
Kein letztes Goodbye, keine Worte, nur die traumatische Entfernung des Fundaments, auf dem ihr junges Leben gebaut hatte. Und wie sollten Kinder verstehen können, daß Mom und Dad nicht bloß Mom und Dad, sondern für andere auch noch etwas anderes - gewesen - waren und daß ihr Tod darum für jemanden erforderlich schien, der die Kinder nicht kannte und sich um sie nicht geschert hätte?
Angehörige waren nach Washington gekommen, die meisten von der Air Force aus Kalifornien hergeflogen. Ebenso geschockt, mußten sie sich in Gegenwart der Kinder zusammennehmen, um es ihnen etwas leichter zu machen. Die Secret-Service-Agenten, die JUNIPER und JUNIOR zugeteilt waren, hatten am meisten gelitten. Darauf trainiert, jeden >Prinzipalen< verbissen zu schützen, trugen die Agenten, die sich um die Durling-Kinder kümmerten - mehr als die Hälfte davon Frauen -, die zusätzliche Bürde normaler Besorgnis, die jeder Mensch für Kinder empfindet, und alle hätten keine Mikrosekunde gezögert, ihr Leben zu opfern, um damit das der Kinder zu retten. Die Bodyguards hatten mit den Kindern gespielt, für sie Weihnachts- und Geburtstagsgeschenke besorgt und bei den Hausaufgaben geholfen. Jetzt mußten sie Lebewohl sagen, den Kindern, deren Eltern und den gefallenen Kollegen. Ryan sah den Ausdruck auf ihren Gesichtern und nahm sich vor, Andrea zu fragen, ob sich ein Psychologe vom Service um sie kümmern könnte.
»Nein, es hat nicht weh getan.« Jack hatte sich hingesetzt, damit ihm die Kinder aus gleicher Höhe in die Augen sehen konnten. »Es hat überhaupt nicht weh getan.«
»Okay«, sagte Mark Durling. Die Kinder waren piekfein gekleidet.
Einer der Angehörigen hatte es für wichtig gehalten, daß sie ordentlich aussahen, wenn sie dem Amtsnachfolger ihres Vaters begegneten. Jack hörte, wie jemand nach Atem rang, und sah am Rand seines Blickfeldes das Gesicht - männlich - eines Agenten, der dabei war, es zu schmeißen.
Price packte den an den Armen und hatte ihn zur Tür raus, noch ehe die Kinder etwas davon merken konnten.
»Bleiben wir hier?«
»Ja«, versicherte Jack ihm. Das war zwar eine Lüge, aber nicht von der Sorte, die jemandem weh tat. »Und wenn ihr etwas braucht, egal was, kommt ihr zu mir, okay?«
Der Junge nickte. Er tat sein Bestes, tapfer zu bleiben, und nun wurde es Zeit, ihn seinen Angehörigen zu überlassen. Ryan drückte ihm die Hand wie einem Mann, der zu werden er eigentlich noch etliche Jahre Zeit haben sollte, für den die Mannespflichten nun aber viel zu schnell kamen. Dem Jungen war zum Weinen zumute, und Ryan meinte, das sollte er jetzt allein tun dürfen.
Jack ging durch die Tür auf den übergroßen Korridor hinaus. Der Agent, der zuvor das Zimmer verlassen hatte, ein großer, kräftiger Schwarzer, weinte zehn Fuß entfernt. Ryan ging zu ihm hin.
»Sind Sie okay?«
»Scheiße - Verzeihung - ich meine - verflucht!« Der Agent schüttelte den Kopf, beschämt, daß er sich hatte gehenlassen. Als Special Agent Tony Wills zwölf Jahre alt war, hatte er seinen Vater verloren, wie Price wußte, durch einen Übungsunfall bei der Army. Er hatte in Grambling Football gespielt, ehe er zum Service kam, und war außergewöhnlich gut zu Kindern. Bei Gelegenheiten wie diesen schlägt Stärke bisweilen in Schwäche um.
»Sie müssen sich nicht entschuldigen. Auch ich habe Vater und Mutter verloren. Etwa zur gleichen Zeit«, fuhr Ryan fort, die Stimme aus Erschöpfung verträumt und zittrig. »Midway Airport, eine 737 setzte im Schneetreiben zu kurz auf. Aber ich wurde ganz erwachsen, als es passierte.«
»Ich weiß, Sir.« Der Agent wischte sich die Tränen ab, schüttelte sich und richtete sich auf. »Bin schon wieder in Ordnung.«
Ryan klopfte ihm auf die Schulter und ging zum Fahrstuhl. Zu Andrea Price. »Bringen Sie mich hier zum Teufel noch mal raus.«
Der Suburban fuhr nach Norden und bog nach links in die Massachusetts Avenue ab, die zum Naval Observatory führte und zum übergroßen viktorianischen Pfefferkuchenhaus, welches das Land dem amtierenden Vizepräsidenten zur Verfügung stellte. Auch
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