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09 - Denn sie betrügt man nicht

09 - Denn sie betrügt man nicht

Titel: 09 - Denn sie betrügt man nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth George
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und erlaubte daher keinem Mann außer seinem Vater, seine Frau anzusehen - und andererseits, weil dies ihrer Natur entsprach - wäre sie unten geblieben, so hätte ihre Schwiegermutter ihr womöglich befohlen, beim Kochen zu helfen, und Yumn war die Faulheit in Person. Sie begrüßte daher Muhannad auf ihre übliche Art, indem sie um ihn herumscharwenzelte, als wäre es ihr größter Wunsch, daß er seine Stiefel am Gesäß ihrer Pluderhose abwischte, und verschwand dann in den oberen Regionen. Sie müsse bei Anas wachen, behauptete sie, falls der wieder einen seiner schrecklichen Alpträume haben sollte. In Wahrheit vertrieb sie sich die Zeit damit, in Zeitschriften zu blättern, um sich die neuesten westlichen Moden anzusehen, die zu tragen ihr Muhannad niemals erlaubt hätte.
    Sahlah saß abseits von den Männern und nahm aus Ehrerbietung vor deren Geschlecht weder Speisen noch Getränke zu sich. Sie war sowieso nicht im geringsten hungrig, von dem lassi jedoch, das ihre Mutter den anderen servierte, hätte sie gern getrunken. Das Joghurtgetränk wäre bei dieser Hitze eine köstliche Erfrischung gewesen.
    Seiner Gewohnheit gemäß dankte Akram Malik seiner Frau mit großer Höflichkeit, nachdem sie den Gästen und ihrem Sohn aufgetragen hatte. Sie berührte flüchtig seine Schulter, sagte: »Möge es dir wohl sein, Akram«, und ging aus dem Zimmer. Sahlah fragte sich oft, wie ihre Mutter es fertigbrachte, sich ihrem Ehemann in allen Dingen zu unterwerfen, als besäße sie keinen eigenen Willen. Doch wenn sie sie fragte, sagte Wardah immer nur: »Ich unterwerfe mich nicht, Sahlah. Dazu besteht keine Notwendigkeit. Dein Vater ist mein Leben, wie ich seines bin.«
    Es bestand eine tiefe Verbundenheit zwischen ihren Eltern, die Sahlah stets bewundert hatte, obwohl sie sie nie ganz verstanden hatte. Sie schien einer unauslöschlichen beiderseitigen Traurigkeit zu entspringen, über die sie niemals sprachen, und sie manifestierte sich in dem Feingefühl, mit dem sie miteinander umgingen und miteinander sprachen. Akram Malik erhob niemals seine Stimme. Aber das brauchte er auch gar nicht. Sein Wort war für seine Frau Gesetz, und für seine Kinder sollte es ebenso Gesetz sein.
    Doch als Teenager hatte Muhannad Akram hinter seinem Rücken höhnisch den »alten Scheißer« genannt. Und in der Birnenplantage hinter ihrem Haus pflegte er Steine an die Mauer zu werfen und die Stämme der Bäume mit Füßen zu treten, um der Wut Luft zu machen, die sein Vater jedesmal in ihm hervorrief, wenn er seine Wünsche durchkreuzte. Doch er war sorgsam darauf bedacht, Akram seine Wut niemals sehen zu lassen. In seiner Gegenwart war Muhannad still und gehorsam. Er verbrachte seine Jugend gewissermaßen in Warteposition, richtete sich nach den Befehlen seines Vaters und tröstete sich mit dem Wissen, daß Geschäft und Vermögen der Familie am Ende in seine Hände übergehen würden, wenn er nur seinen familiären Verpflichtungen den Vorrang einräumte. Dann würde sein Wort Gesetz sein. Sahlah wußte, daß Muhannad diesen Tag herbeisehnte.
    Im Augenblick jedoch sah er sich der zornigen Empörung seines Vaters gegenüber, die allerdings unausgesprochen blieb. Nicht nur hatte er an diesem Tag in der Stadt Aufruhr gestiftet, er hatte auch noch Taymullah Azhar nach Hause gebracht und sich damit eines schweren Verstoßes gegen die Familie schuldig gemacht. Denn Taymullah Azhar war zwar der Sohn von Akrams ältestem Bruder, doch er war, wie Sahlah wußte, aus der Familie ausgestoßen worden, und das hieß, daß er für die ganze Sippe tot war. Auch für die Familie seines Onkels.
    Akram war nicht zu Hause gewesen, als Muhannad mit Taymullah Azhar eintraf und Wardahs leise, aber dringende Warnung »Das darfst du nicht, mein Sohn« einfach übergangen hatte. »Wir brauchen ihn«, hatte er gesagt. »Wir brauchen jemanden mit seiner Erfahrung. Wenn wir jetzt nicht ein für allemal klarstellen, daß wir nicht zusehen werden, wie der Mord an Haytham einfach unter den Teppich gekehrt wird, können wir von dieser Stadt das Übliche erwarten.«
    Wardah hatte ein ängstliches Gesicht gemacht, aber nichts mehr gesagt. Nach dem ersten Augenblick erschreckten Erkennens vermied sie es beharrlich, Taymullah Azhar anzusehen. Sie nickte nur - dem einzigen Sohn dieselbe Ehrfurcht zeigend wie ihrem Ehemann - und zog sich mit Sahlah in die Küche zurück, um auf die Heimkehr Akrams zu warten, der in der Fabrik noch damit beschäftigt war, einen Ersatz für

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