09 - Denn sie betrügt man nicht
man nichts zu sagen braucht, wenn man nicht gefragt wird. Aber angenommen, man wird gefragt, sollte man dann was sagen, wenn man nicht sicher ist, daß es was hilft?«
Connie sah sie an, als hätte sie sich eben als ein Wesen von einem anderen Stern entpuppt. Dann kniff sie die Augen zusammen. Als sie zu sprechen begann, war klar, daß sie trotz Rachels wirrer Präsentation ein paar kluge Schlußfolgerungen gezogen hatte. »Sprechen wir hier von einem plötzlichen Tod, Rachel? Von einem unerwarteten Tod?«
»Also, ja.«
»Und ist er ungeklärt?«
»Ich denke schon, ja.«
»Hat er sich erst vor kurzem ereignet?«
»Ja.«
»Hier am Ort?«
Rachel nickte.
»Ist es dann ...« Connie klemmte sich die Zigaretten zwischen ihre Lippen und kramte in einem Stapel Zeitungen, Zeitschriften und Post, der unter dem Plastikkorb, aus dem sie ihre Zigaretten genommen hatte, lag. Sie warf einen Blick auf die Titelseite einer Ausgabe des Tendring Standard, legte sie weg, ergriff die nächste und dann eine dritte. »Das hier?« Sie warf die Zeitung vor Rachel auf den Tisch. Es war die mit dem Bericht über den Todesfall auf dem Nez. »Weißt du darüber was, Rachel?«
»Wie kommst du darauf?«
»Na hör mal, Rachel. Ich bin doch nicht blind. Ich weiß, daß du dauernd mit den Farbigen zusammensteckst.«
»Sag das nicht.«
»Warum nicht? Du hast nie ein Geheimnis daraus gemacht, daß du und Sally Malik -«
»Sahlah. Nicht Sally. Und ich hab' nicht gemeint, du sollst nicht sagen, daß ich mit ihnen befreundet bin. Ich hab' gemeint, du sollst sie nicht Farbige nennen. Das ist primitiv.«
»Oh, entschuldige vielmals!« Connie stäubte ihre Zigarette an einem Aschenbecher ab, der wie ein hochhackiger Pumps geformt war. Am Absatz konnte man die Zigarette ablegen. Das tat Connie aber nicht, denn dann hätte sie ja auf ein paar Züge aus ihrer Zigarette verzichten müssen, und das wollte sie in diesem Moment offensichtlich auf keinen Fall. Sie sagte: »Du sagst mir am besten ganz offen, was los ist, Rachel, ich habe keine Lust, heute abend Ratespiele zu spielen. Weißt du etwas über den Tod dieses Mannes?«
»Nein. Nicht direkt jedenfalls.«
»Also dann indirekt. Richtig? Hast du den Mann persönlich gekannt?« Kaum hatte sie die Frage gestellt, da schien irgendwo in ihrem Kopf eine Signallampe aufzuleuchten. Sie riß plötzlich die Augen auf und drückte ihre Zigarette mit solcher Heftigkeit aus, daß sie den Aschenbecher umkippte. »Ist das etwa der Kerl, mit dem du unten bei den Strandhäusern warst? Das darf doch nicht wahr sein, du hast es mit einem Farbigen getrieben? Wo hast du eigentlich deinen Verstand, Rachel? Hast du überhaupt keinen Anstand? Überhaupt kein Selbstwertgefühl? Glaubst du, ein Farbiger würde sich darum scheren, wenn er dich schwängert? Bestimmt nicht! Und was, wenn er dir eine von diesen Krankheiten angehängt hat, die bei den Farbigen umgehen? Oder irgendein Virus? Wie heißt das gleich wieder? Enola? Oncola?«
Ebola, korrigierte Rachel im stillen. Und mit Geschlechtsverkehr - ob nun mit einem Weißen, Braunen, Schwarzen oder Roten - hatte es überhaupt nichts zu tun. »Mama!« sagte sie geduldig.
»Connie! Connie, Connie, Connie!«
»Ja, schon gut. Ich hab's mit niemandem getrieben, Connie. Glaubst du im Ernst, daß irgendeiner, ganz gleich, was für eine Hautfarbe er hat, scharf darauf ist, es mit mir zu treiben?«
»Und warum nicht?« fragte Connie. »Was gibt's an dir auszusetzen? Ein schöner Körper, tolle Wangenknochen, tolle Beine, wieso sollte ein Mann nicht scharf darauf sein, Rachel Lynn Winfield jeden Abend in der Woche zu vernaschen?«
Rachel sah die Verzweiflung in den Augen ihrer Mutter. Sie wußte, es wäre sinnlos - schlimmer noch, es wäre unnötig grausam -, Connie zu zwingen, die Wahrheit zuzugeben. Schließlich war sie ja diejenige, die das Kind mit dem verunglückten Gesicht zur Welt gebracht hatte. Mit dieser Realität zu leben war wahrscheinlich genauso schwer, wie mit dem Gesicht selbst zu leben.
»Ja, da hast du recht, Connie«, sagte sie, und eine stumme Hoffnungslosigkeit senkte sich über sie wie ein Netz, das aus Kümmernissen geflochten war. »Aber mit diesem Mann auf dem Nez, mit dem hab' ich's nicht getrieben.«
»Aber du weißt etwas über seinen Tod.«
»Nicht direkt über seinen Tod. Aber etwas, was damit zu tun hat. Und ich wollte wissen, ob ich das sagen soll, wenn mich jemand fragt.«
»Wer zum Beispiel?«
»Jemand von der Polizei
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