09-Die Pfade des Schicksals
gerechtfertigt.
Sie spürte, dass Bhapa widersprechen wollte. Auch Stave schien Einwände erheben zu wollen. Aber Raureif Kaltgischt sprach als Erste.
»Genug.« Wie um Nachsicht bittend legte sie Clyme eine Hand auf die Schulter. »Linden Riesenfreundin, nun ist es genug. Wenn Freude in den Ohren liegt, die hören, dann müsste ich dir mit Lachen antworten. Das tue ich nur deshalb nicht, weil ich dich nicht noch trauriger machen will.«
Frostherz Graubrand murmelte etwas Zustimmendes. Mehrere andere Riesinnen nickten.
»Du verlangst von dir selbst Vollkommenheit«, fuhr Kaltgischt fort, »obgleich Irrtum und Pech das Los aller sind, die leben und sterben. Du hast Lasten auf dich genommen, vor denen selbst Riesen zurückschrecken würden. Dafür ehren wir dich. Wenn du zwischendurch mal stolperst, wie es Sturmvorbei Böen-Ende getan hat …
Nun ja.« Die Eisenhand drückte Clymes Schulter kurz fester, dann ließ sie ihn los. »Unter Riesen würdest du vielleicht Stolperfuß genannt werden.« Sie nickte stirnrunzelnd zu Spätgeborener und Böen-Ende hinüber. »Danach würdest du bestimmt oft gehänselt werden. Aber niemand würde dir einen Vorwurf machen. Die Caamora würde dich von allem Kummer und Schmerz befreien. Dann würdest du dich erheben, deine Last wieder schultern und von allen, die dich begleiten, so hoch geachtet werden wie zuvor.
Auch ich«, gestand sie ein, »habe mir gelegentlich Schuld zugewiesen. Jetzt weiß ich, dass das falsch war. Mein Herz war rein, als ich den Schlag geführt habe, der Verlorensohn Langzorn in den Wahnsinn getrieben hat. Spätgeborene hatte ein reines Herz, als sie durch einen unglücklichen Zufall Langzorn die Flucht ermöglicht und so Woge Wellengeschenks Tod verursacht hat. Sturmvorbei Böen-Endes Herz war rein, als sie gestolpert ist. Und auch du hattest ein reines Herz, Linden Riesenfreundin, als du deine Aufmerksamkeit und deine Sehnsucht auf deinen Sohn statt auf Anele konzentriert hast. Wenn ich dich bemitleide, dann tue ich das nur, weil dein Fleisch zu schwach ist, um die heilende Kraft des Feuers zu erfahren.
In den Worten des Mähnenhüters liegt Weisheit.« Kaltgischt schüttelte betrübt den Kopf. »Du hingegen hast mit der Stimme der Verzweiflung gesprochen.«
Hätte die Eisenhand jemals Lindens Albträume gehabt, hätte sie diese Stimme wiedererkannt. Sie war das Umherhuschen widerlicher Aasfresser; das Kreischen der Opfer des Übels. Seit Linden sich Ihr, die nicht genannt werden darf, ergeben hatte - nein, seit sie auf dem Galgenbühl gestanden hatte -, kannte sie keine Vergebung mehr.
Sie zog es vor, sich auch jetzt nicht daran zu erinnern.
Oberflächlich betrachtet verstand sie Kaltgischt jedoch. Sie verstand Mahrtür. Oberflächlich konnte sie ihren Argumenten zustimmen. Und sie hatte ihr unmittelbares Ziel erreicht: Sie hatte die Vorwürfe der Gedemütigten von Galt und Anele abgelenkt.
»Also gut«, murmelte sie, ohne den Kopf zu heben. »Ich verstehe. Liand ist tot.« Sie sprach seinen Namen aus, als wäre er so gefährlich wie der Krill. »Der Croyel hat Jeremiah weiterhin. Darauf kommt es an. Jetzt von mir zu reden, lenkt nur ab.
Wir vergeuden Zeit.« Sie zwang sich grimmig dazu, ihre Gefährten anzusehen. »Wir sollten uns darauf konzentrieren, was wichtig ist.«
Die Riesinnen hatten kein Holz für eine Caamora. Wie Linden und die Ramen und sogar Stave würden sie irgendein anderes Mittel finden müssen, um über ihren Verlust hinwegzukommen.
Pahni schien darauf gewartet zu haben, dass Linden Liands Tod zur Kenntnis nehmen würde. Jetzt ließ sie ihn zu Boden sinken und schob seine Gliedmaßen sanft zurecht, als sollte er bequem liegen. Dann sprang sie auf und stürzte sich auf Linden.
Mit dem Licht des Krill hinter ihr lag das Gesicht der Seilträgerin im Schatten. Aber ihre Qualen eilten ihr voraus. Schmerzliche Vorwürfe trafen Linden wie ein Schlag ins Gesicht. Sie fuhr zusammen, noch bevor Pahni sie erreichte.
Stave war schneller als die junge Frau. Er trat vor, um sie abzufangen, aber Pahni machte halt, bevor seine Hände sie berührten. Sie schien kaum zu merken, dass sie ihre Garotte straff zwischen den Fäusten hielt. Ihre Brust hob und senkte sich so angestrengt, dass sie sekundenlang kein Wort herausbrachte.
»Seilträgerin«, sagte Mahrtür scharf. »Beruhige dich.« In seinem Tonfall konkurrierten Zorn und Mitgefühl miteinander. »Das ist unziemlich.
Pahni ignorierte ihn. »Ring-Than!«, rief sie mit brüchiger Stimme,
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