09-Die Pfade des Schicksals
versucht hast, ihn zu sich zu bringen, hat sich viel verändert. Kannst du nicht jetzt ein Mittel finden, ihn aus seiner Teilnahmslosigkeit zu wecken?«
Linden schüttelte den Kopf. Sie suchte nach den richtigen Worten, um Wahrnehmungen zu beschreiben, die ihr längst klargeworden waren. Wie oft muss ich noch über Vertrauen reden? Sie hatte allzu viele Fehler gemacht. Noch schlimmer: Sie hatte zu oft die gleichen Fehler gemacht. Sie musste glauben, es könnte bessere Lösungen geben; aber sie wusste nicht, wo sie zu finden waren.
Mit bewusster Anstrengung zwang sie sich dazu, zu sagen: »Er ist nicht hilflos in seinem Körper gefangen. Das wäre ein falsches Bild. Er ist wie Anele. Er hat diese Möglichkeit gewählt. Sie ist… war sein einziges Abwehrmittel. Das verdient einigen Respekt. Ich weiß nicht, wie er sich sonst hätte schützen können.
Vielleicht sitzt er jetzt dort drinnen fest«, schloss sie, um Protesten zuvorzukommen. »In diesem Zustand befindet er sich schon ziemlich lange. Vielleicht will er raus und findet sich nur nicht zurecht. Aber um ihm helfen zu können, müsste ich noch tiefer in ihn eindringen.« Viel tiefer; tief genug, um ihn aus seinen Gräbern zu zerren. »Ich müsste Besitz von ihm ergreifen. Und das ist grundsätzlich falsch. Die Ranyhyn haben mich davor gewarnt. Sie haben mir gezeigt, was schiefgehen kann, wenn ich darauf bestehe, Leuten, die das Recht haben, eigene Entscheidungen zu treffen, Gewalt anzutun.«
Mehr als einmal und auf verschiedene Weise hatte Anele ihren Impuls zurückgewiesen, ihn zu heilen. Vor dem Rösserritual hatte Stave trotz seiner von Esmer stammenden Verletzungen das Gleiche getan.
»Ich bin früher Ärztin gewesen. Eine Heilerin für Leute mit Geisteskrankheiten. Dabei habe ich vor allem gelernt, dass ich sie nicht heilen konnte.« Gott, dieses Eingeständnis fiel ihr schwer! Sie hatte gelernt, die Wahrheit in Bezug auf ihre Patienten zu akzeptieren. Aber das von ihrem eigenen Sohn zu sagen … »Sie mussten sich selbst heilen. Meine einzige wirkliche Aufgabe hat daraus bestanden, ihnen zu helfen, sich so sicher zu fühlen, dass sie es riskieren konnten, sich selbst zu heilen.
Ich bin keine große Heilerin mehr.« Dazu hatte Linden zu viel gemordet. »Aber in jemanden einzudringen, ist nach wie vor falsch. Das weiß ich aus eigener Erfahrung.« Weil Moksha Jehannum in sie eingedrungen war. »Und weil ich es selbst getan habe.« Bei Covenant. »Covenant will immer, dass ich mir selbst vertraue, aber damit kann ich nicht viel anfangen.« Weil das unmöglich war. Dafür habe ich schon zu viele Fehler gemacht. Aber den Ranyhyn zu vertrauen, kommt mir vernünftig vor.
Sie haben sich große Mühe gegeben, mich zu warnen.« Linden mochte sich nicht an die Bilder erinnern, mit denen sie ihren Kopf angefüllt hatten. »Es wird Zeit, dass ich aufhöre, sie zu ignorieren, glaube ich.«
Anstrengungen müssen gemacht werden, hatte Mahrtiir ihr vor vielen Tagen erklärt, auch wenn die Sache hoffnungslos erscheint. Aber er hatte auch gesagt: Und manchmal geschieht ein Wunder, das uns erlöst.
Linden erwartete Einwendungen. Wie sollten ihre Gefährten verstehen, was sie zu sagen versuchte? Keiner von ihnen war von Wüterichen in Besitz genommen worden, hatte Joans schaurige Qualen mit ihr durchlitten oder war Aas geworden. Aber Kaltgischts einzige Reaktion bestand aus besorgtem Stirnrunzeln. Keine der anderen Riesinnen erhob Einwände. Stave betrachtete Linden ausdruckslos; akzeptierte sie schweigend. Aber Mahrtiir …
Der Mähnenhüter entspannte sich sichtlich. Linden schien ihn von einer heimlichen Last, einem unausgesprochenen Zweifel befreit zu haben. Er nahm die Schultern etwas zurück, bevor er verkündete: »Dann sehe ich keinen Grund, von unserem Vorhaben abzurücken. Ursprünglich hatten wir uns darauf geeinigt, uns der Führung der Ranyhyn zu überlassen. Mit dieser Entscheidung war ich einverstanden. Das bin ich noch jetzt. Da wir so wenige sind, können wir keinen besseren Weg einschlagen. Stave von den Haruchai soll die großen Pferde rufen. Wir wollen unseren Vorsatz erneuern, uns ihrer Führung anzuvertrauen.«
Sein Rat war ein Geschenk. Linden wollte keine weiteren Entscheidungen mehr treffen müssen. Und in einem Punkt war sie den Ramen ähnlich: Sie empfand die bevorstehende Ankunft der Ranyhyn als Erleichterung. Die Freundlichkeit in Hyns Augen, die Sicherheit im langen Schritt der Stute gewährten ihr tröstliche Erleichterung, die so
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