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09 - Old Surehand III

09 - Old Surehand III

Titel: 09 - Old Surehand III Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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vielen schweren Sünden vergeben? Könnt Ihr es tun, Mr. Shatterhand; könnt Ihr?“
    „Ich kann es nicht. Bittet Gott darum! Er allein kann es.“
    „Er hört mich nicht; er mag von mir nichts wissen! Es ist zu spät, zu spät!“
    „Für Gottes Liebe und Barmherzigkeit kommt keine Reue zu spät!“
    „Hätte ich früher auf Euch gehört, früher! Ihr habt Euch Mühe mit mir gegeben. Ihr habt recht gehabt: Das Sterben währt länger, viel, viel länger als das Leben! Fast hundert Jahre habe ich gelebt; nun sind sie hin, hin wie ein Wind; aber diese Stunde, diese Stunde, sie ist länger als mein ganzes Leben; sie ist schon eine Ewigkeit! Ich habe Gott geleugnet und über ihn gelacht; ich habe gesagt, daß ich keinen Gott brauche, im Leben nicht und im Sterben nicht. Ich Unglücklicher! Ich Wahnsinniger! Es gibt einen Gott; es gibt einen; ich fühle es jetzt! Und der Mensch braucht einen Gott; ja er braucht einen! Wie kann man leben und wie sterben ohne Gott! Wie kalt, wie kalt ist's in mir, huh – – –! Wie finster, wie finster, huuuh – – –! Das ist ein tiefer – – – tiefer – – – bodenloser Abgrund – Hilfe, Hilfe! Das schlägt über mir zusammen – über mir – Hilfe – – – Hilfe! Das krallt sich um meine – – – Hilfe – – – Gnade – – – Gnade – – – Gna – – –!“
    Er hatte die Augen geschlossen und die Hilferufe mit erst schriller und dann ersterbender Stimme ausgestoßen. Jetzt schloß er den Mund und bewegte kein Glied seines Körpers, kein Härchen seiner Augenwimpern mehr.
    „Oh mein Gott!“ seufzte Old Surehand. „Ich sah schon manchen Menschen im Kampf fallen; aber ein wirkliches Sterben, so wie dieses, sah ich doch noch nie! Wer da nicht an Gott glauben lernt, dem wäre besser, er wäre nie geboren!“
    Die Hilferufe Old Wabbles hatten die Gefährten alle herbeigerufen; sie standen rund umher. Ich schob dem Alten die Hand unter das Gewand und legte sie ihm auf das Herz; ich fühlte kaum noch dessen leisen, langaussetzenden Schlag.
    „Die Hüte ab, Mesch'schurs!“ bat ich. „Wir stehen vor einem hehren, heiligen Augenblick: Ein verlorener Sohn kehrt jetzt zurück ins Vaterhaus. Betet, betet, betet, daß der Inbegriff aller Liebe sich seiner erbarme, jetzt in dieser schweren, letzten Minute und jenseits in der Ewigkeit!“
    Sie beteten; selbst die drei Häuptlinge beteten und – – – Old Surehand betete auch! Die Sekunden dehnten sich zu Minuten und die Minuten zu Viertelstunden. Ein dünnes Zweiglein knickte unter den Zehen eines kleinen Vogels. Das klang durch diese tiefe, heilige Stille wie sonst das Brechen eines starken Baumes, so schien es uns, und der leichte Flügelschlag des Vogels dünkte uns das Rauschen von Adlerschwingen zu sein!
    Da schlug Old Wabble die Augen auf und richtete sie auf mich. Sein Blick war klar und mild, und seine Stimme klang zwar leise doch deutlich, als er sagte:
    „Ich schlief jetzt einen langen, langen, tiefen Schlaf und sah im Traum mein Vaterhaus und meine Mutter drin, die ich beide hier nie gesehen habe. Ich war bös, sehr bös gewesen und hatte sie betrübt, so träumte mir; ich bat sie um Verzeihung. Da zog sie mich an sich und küßte mich. Old Wabble ist nie im Leben geküßt worden, nur jetzt in seiner Todesstunde. War das vielleicht der Geist von meiner Mutter, Mr. Shatterhand?“
    „Ich möchte es Euch gönnen. Ihr werdet's bald erfahren“, antwortete ich.
    Da ging ein Lächeln über seine viel durchfurchten Züge, und er sprach in rührend frohem Ton:
    „Ja, ich werde es erfahren, in wenigen Augenblicken. Sie hat mir verziehen, als ich sie darum bat! Kann Gott weniger gnädig sein als sie?“
    „Seine Gnade reicht so weit, so weit die Himmel reichen; sie ist ohne Anfang und auch ohne Ende. Bittet ihn, Mr. Cutter, bittet ihn!“
    Da legte er die unverletzte Hand in diejenige des gebrochenen Armes, faltete beide und sagte:
    „So will ich denn gern beten, zum ersten und zum letzten Mal in diesem meinem Leben! Herrgott, ich bin der böseste von allen Menschen gewesen, die es gegeben hat. Es gibt keine Zahl für die Menge meiner Sünden, doch ist mir bitter leid um sie, und meine Reue wächst höher auf als diese Berge hier. Sei gnädig und barmherzig mit mir, wie meine Mutter es im Traum mit mir war, und nimm mich, wie sie es tat, in Deine Arme auf. Amen!“
    Welch ein Gebet! Er, der keine Schule genossen und nie mit seinem Gott gesprochen hatte, betete jetzt

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