09 - Old Surehand III
und stampfte um sich, doch kam kein Fluch und keine Verwünschung mehr aus seinem Mund. Dann lag er wieder still, wimmernd und stöhnend zwar, doch sonst bewegungslos. Seine Zähne knirschten, und der Schweiß trat in schweren, dicken Tropfen auf seine Stirn und sein Gesicht. Ich wischte sie wiederholt ab; sie kamen immer wieder. So verging eine lange Zeit. Da hörte ich ihn halblaut sagen:
„Mr. Shatterhand!“
Ich bog mich über ihn, und nun fragte er langsam und mit öfteren Unterbrechungen:
„Ihr wißt alles – alles –. Kennt Ihr das alte, alte – – – Lied – Lied – von der – Ewigkeit – – –?“
„Welches Lied? Wie ist der Anfang?“
„E – ter – nity – oh – thunder – word – – –.“
„Ich kann es auswendig.“
„Betet – be – tet es!“
Ich blickte Old Surehand, der mit mir zu ihm gekommen war, bedeutungsvoll an, setzte mich neben den Alten hin und begann, natürlich in der englischen Übersetzung:
„O Ewigkeit, du Donnerwort,
Du Schwert, das durch die Seele bohrt,
O Anfang sonder End!
O Ewigkeit, Zeit ohne Zeit,
Vielleicht schon morgen oder heut
Fall ich in deine Hände.
Mein ganz erschrocknes Herz erbebt,
Daß mir die Zung' am Gaumen klebt!“
Hier hielt ich inne. Er war still. Seine Brust bewegte sich schwer. Es arbeitete in ihm. Dann bat er:
„Weiter – weiter – Mr. Shatter – hand –!“
Ich tat ihm den Willen und fuhr fort:
„O Gott, wie bist du so gerecht!
Wie strafst du mich, den bösen Knecht,
Mit wohlverdienten Schmerzen!
Schon hier erfaßt mich deine Faust,
Daß es mich würgt, daß es mich graust
In meinem tiefsten Herzen.
Die Zähne klappern mir vor Pein;
Wie muß es erst da drüben sein!“
Die Strophen dieses alten, kraftvollen Kirchenliedes sind, wenn sie richtig gelesen oder gesprochen werden, allerdings geeignet, wie Schwerterspitzen durch Mark und Bein zu gehen. Ich sah, daß es ihn schüttelte, doch forderte er mich auf:
„Weiter – immer – – – weiter! Ich – – – höre es – – –!“
Ich tat ihm natürlich den Willen:
„Wach auf, o Mensch, vom Sündenschlaf;
Ermuntre dich, verlorenes Schaf,
Denn es enteilt dein Leben!
Wach auf, denn es ist hohe Zeit,
Und es naht schon die Ewigkeit,
Dir deinen Lohn zu geben!
Zeig reuig deine Sünden an,
Daß dir die Gnade helfen kann!“
Was war das?! Seine Zähne schlugen zusammen. Ja wahrhaftig, ich hörte sie klappern! Der Schweiß stand nicht mehr tropfenweise auf seiner Stirn, sondern er lag als eine zusammenhängende, naßkalte Schicht auf ihr. Dabei murmelte er, wie ein Betrunkener lallend:
„Zeig reuig – – – deine Sünden – – – an, daß dir – – – die Gnade – – – hel – – – helfen kann – – –!“ Und plötzlich stieß er laut, schnell und voller unsäglicher Angst hervor: „Wie lange braucht man zur Gnade, wie lange? Sagt es schnell, schnell!“
„Einen Augenblick nur, wenn Ihr's ehrlich meint“, antwortete ich.
„Das ist zu wenig, viel zu wenig! ‚Zeig reuig deine Sünden an!‘ Ich habe mehr Sünden auf meinem Gewissen als Sterne am Himmel stehen. Wie kann ich die in dieser Zeit beichten, wie kann, wie kann ich das!“
„Gott zählt sie nicht einzeln, wenn Ihr sie wirklich bereut!“
„Nein, alle, alle muß ich ihm aufzählen, alle! Und habe ich Zeit dazu, Zeit? Wann muß ich sterben, sagt es mir!“
„Eure Todesstunde schlägt heut. Hier steht Euer Grab schon offen!“
„Schon offen, schon offen; oh, mein Himmel, oh, mein Gott! Gebt mir mehr Zeit, mehr! Gebt mir einen Tag, zwei Tage, eine Woche!“
Da, da war es, was ich ihm auf Fenners Farm vorausgesagt hatte: Er flehte um eine Gnadenfrist!
„Aber ich fühle es“, fuhr er kreischend fort, „ich bekomme keine Zeit, keine Frist, keine Gnade, kein Erbarmen! Der Tod greift mir nach dem Herzen, und die Hölle mit allen ihren Teufeln wühlt mir schon im Leib, Mr. Shatterhand, Mr. Shatterhand, Ihr seid ein gläubiger, ein frommer Mann. Ihr müßt, Ihr müßt es wissen: Gibt es einen Gott?“
Ich legte ihm die Hand auf die Stirn und antwortete:
„Ich schwöre nie; heut und hier schwöre ich bei meiner Seligkeit, daß es einen Gott gibt!“
„Und ein Jenseits, ein ewiges Leben?“
„So wahr es einen Gott gibt, so wahr auch ein Jenseits und ein ewiges Leben!“
„Jede Sünde wird dort bestraft?“
„Jede Sünde, welche nicht vergeben worden ist.“
„O Gott, oh Allerbarmer! Wer wird mir meine vielen,
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