09 - Old Surehand III
in so geläufiger Weise, wie ein Pfarrer betet! Er hatte leise und mit Unterbrechungen gesprochen, war aber von uns allen verstanden worden. Dieser Sterbende war ein böser Mensch und zuletzt mein Todfeind gewesen, und doch liefen die Tränen, die ich nicht zurückzuhalten vermochte, mir über die Wangen herab.
„War es so richtig, Mr. Shatterhand?“ fragte er.
„Ja, so war es gut.“
„Und wird Gott mir meine Bitte erfüllen?“
„Ja.“
„Ah, wenn ich das doch deutlich aus Eurem Mund hören könnte!“
„Ihr sollt es hören. Ich bin zwar kein geweihter Priester, und keine Macht der Kirche ist mir anvertraut; wenn ich damit eine Sünde begehe, so wird Gott auch mir gnädig sein; ich bin ja der einzige hier, der zu Euch reden kann! Spricht die Stimme wahr, die ich jetzt in mir höre, so seid Ihr von Gottes Gerechtigkeit gerichtet, aber von seiner Barmherzigkeit begnadigt worden. Geht also heim in Frieden! Ihr habt im Traum das irdische Vaterhaus gesehen; es steht Euch nun die Tür des himmlischen offen. Eure Sünden bleiben hier zurück. Lebt wohl!“
Ich nahm seine Hand in die meinige. Er hatte die Augen wieder geschlossen. Ich legte mein Ohr an seinen Mund und hörte ihn noch hauchen:
„Lebt – wohl! – Ich – – – bin – so froh, – so – froh – – –!“
Das Lächeln war in seinem Angesicht geblieben; es war so mild, als ob er wieder von seiner Mutter träume. Doch war's kein Traum mehr, der ihm die Erbarmung zeigte; er sah sie jetzt in Wirklichkeit, in jener Wirklichkeit, die über allem Irdischen erhaben ist; – er war tot! –
Was für ein sonderbares Geschöpf ist doch der Mensch! Welche Gefühle hatten wir noch vor wenigen Stunden für diesen nun Verstorbenen gehabt! Und jetzt stand ich so tief berührt vor seiner Leiche, als ob mir ein lieber, lieber Kamerad gestorben sei! Seine Bekehrung hatte alles Vergangene gut gemacht. Und ich war nicht der einzige, dem es so erging. Dick Hammerdull kam herbei, ergriff die Hand des Toten, schüttelte sie leise und sagte:
„Leb wohl, alter Wabble! Hättest du eher gewußt, was du jetzt weißt, so wärest du nicht eines so elenden Todes gestorben. Das war gewaltig dumm von dir; ich trage es dir aber nicht nach! Pitt Holbers, gib ihm auch die Hand!“
Holbers brauchte gar nicht dazu aufgefordert zu werden, denn er stand schon bereit dazu. Er sagte dabei, und zwar gar nicht in seiner trockenen Weise, sondern tief bewegt:
„Farewell, alter King! Dein Königreich hat nun ein Ende. Wärest du gescheit gewesen, so hättest du mit uns anstatt mit den Tramps reiten können. Schade, jammerschade um so einen tüchtigen Boy, der du früher gewesen bist! Komm, lieber Dick! Wollen ihn in sein letztes Bett legen!“
„Nein, jetzt noch nicht!“ entgegnete ich.
„Ja, müssen wir nicht weiter?“ fragte Hammerdull.
„Wir haben nur noch zwei Stunden Tag; da verlohnt es sich nicht, nun erst ein anderes Lager aufzusuchen. Wir bleiben hier.“
„Aber die Utahs, und der ‚General‘?!“
„Laßt sie ziehen! Sie entkommen uns nicht, nun erst recht nicht, da wir die Schmerzen zu rächen haben, welche dieser Tote hat ausstehen müssen. Früh schien es mir, als ob wir keine Zeit hätten; jetzt habe ich mehr als genug!“
„Ich stimme meinem Bruder Shatterhand bei“, erklärte Winnetou. „Old Wabble soll nicht warm begraben werden!“
Es war also ausgemacht, daß wir heut auf der Halbinsel blieben. Einer aber von uns ließ sich nicht bereit dazu finden, Old Surehand nämlich. Er winkte mich auf die Seite und sagte:
„Ich kann nicht hier bleiben, Mr. Shatterhand. Ich werde fortreiten, und zwar heimlich, damit niemand auf den Gedanken kommt, mich aufzuhalten. Jemandem aber muß ich es sagen, und das sollt Ihr sein. Verratet mich nicht, bis ich fort bin!“
„Ist es denn unbedingt notwendig, daß Ihr Euch entfernen müßt?“ erkundigte ich mich. „Könnt Ihr wirklich nicht hier bleiben?“
„Ich muß fort!“
„Und allein?“
„Ganz allein!“
„Hm! Ihr seid ein tüchtiger Westmann, und ich will also nicht von den Gefahren sprechen, welche Euch begegnen können; aber wollt Ihr mir nicht wenigstens sagen, welcher Art das Unternehmen ist, welches Euch hindert, hier bei uns zu bleiben, Mr. Surehand?“
„Das kann ich nicht.“
„Darf ich auch nicht erfahren, wohin Ihr wollt?“
„Nein.“
„Hm! Ich habe nicht die Absicht, Euch Vorwürfe zu machen, aber Euer Verhalten grenzt doch etwas an Vertrauenslosigkeit.“
Da
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