09 - Old Surehand III
Shatterhand weiß, daß, solange es rote Männer gibt, kein Krieger, welcher von seinem Stamm nach dem Yatkuan ausgeschickt wird, eine andere Waffe als nur das Messer führen darf. Er hat keinen Pfeil und keinen Bogen, kein Gewehr und keinen Tomahawk nötig, weil er kein Fleisch, sondern nur Pflanzen essen darf und sich gegen keinen Feind zu verteidigen braucht, weil es verboten ist, einen Mann, der nach den heiligen Steinbrüchen reitet, unfriedlich zu behandeln. Apanatschka hat noch nie von einem Fall gehört, daß dieses Gesetz, welches bei allen Stämmen Geltung hat, übertreten worden ist. Die Hunde der Osagen aber haben die Schande auf sich geladen, mich zu überfallen, gefangenzunehmen und zu fesseln, obgleich ich nur das Messer hatte und ihnen durch das Wampum des Kalumets bewies, daß ich mich auf dem Wege der großen Medizin befand.“
„Du hast ihnen das Wampum vorgezeigt?“
„Ja.“
„Ich sehe es nicht. Du hast es nicht mehr?“
„Nein. Sie haben es mir abgenommen und in das Feuer geworfen, von dem es verzehrt worden ist!“
„Unglaublich! So etwas ist allerdings noch niemals vorgekommen! Sie haben damit ihre Ehre in die Flammen geworfen und für alle Zeit vernichtet. Sie mußten dich, selbst, wenn du ihr größter Feind gewesen wärst, als Gast behandeln!“
„Uff! Ich sollte sogar getötet werden!“
„Hast du dich gewehrt, als sie dich ergriffen?“
„Durfte ich das?“
„Nein.“
„Hätte ich mich gewehrt, wo wäre das Blut vieler von ihnen geflossen; da ich mich aber auf mein Wampum und die uralten Gesetze verließ, die noch niemand zu übertreten wagte, bin ich ihnen willig wie ein Kind in ihr Lager gefolgt. Von nun an darf jedem Osagen, der einem ehrlichen Krieger begegnet, ins Gesicht gespien werden und – – –“
Er wurde unterbrochen, denn Dick Hammerdull kam und meldete, daß Winnetou zu sehen sei. Ich wollte den Apachen mit dem Naiini-Komantschen überraschen, bat also Apanatschka, hier bei dem Gefangenen zu bleiben, und ging mit Dick Hammerdull nach der andern Seite der Kih-pe-ta-kih, wo die Angemeldeten erscheinen mußten. Ich hatte natürlich erwartet, fünf Personen zu sehen, nämlich Winnetou, Treskow, Holbers, Old Wabble und Schahko Matto, bemerkte aber zu meiner Verwunderung, daß sich noch ein Indianer bei ihnen befand. Als sie näher gekommen waren, sah ich, daß dieser auch auf das Pferd gebunden war. Winnetou hatte also noch einen Gefangenen gemacht; die Kriegsfarben in seinem Gesicht zeigten, daß er auch ein Osage war.
Ich trat, damit der Apache nicht erst rekognoszieren solle, so weit vor das Gesträuch, daß er mich erkennen mußte. Er lenkte also gerade auf mich zu, hielt bei uns an und fragte:
„Befindet sich mein Bruder schon vor mir hier, weil ihm etwas Böses begegnet ist?“
„Nein, sondern weil alles schneller und besser ging, als ich denken konnte.“
„So geleite er uns zu seinen Pferden! Ich habe ihm sehr Wichtiges zu berichten.“
Schahko Matto hatte diese Worte gehört; ich fing einen triumphierenden Blick auf, den er auf mich warf, und ließ infolgedessen die Bemerkung hören:
„Die Pferde befinden sich auf der andern Seite; wir werden aber gleich hier unten lagern.“
Der scharfsinnige Winnetou ahnte sofort, daß es sich um eine Heimlichkeit handle; er warf einen kurzen Blick in mein Gesicht und ließ dann ein befriedigtes Lächeln um seine Lippen spielen. Der Häuptling der Osagen aber machte mir in barschem Ton die Bemerkung:
„Old Shatterhand wird erfahren, was geschehen ist, und mich in kurzer Zeit freilassen müssen!“
Ich antwortete nicht und stieg in die Vertiefung hinab. Die andern folgten mir, indem Hammerdull und Holbers die Pferde der beiden Indianer führten. Dabei hörte ich, daß der Dicke zu seinem langen Busenfreund sagte:
„Also bei euch ist etwas sehr Wichtiges passiert, Pitt Holbers, altes Coon?“
„Wenn du denkst, daß es wichtig ist, so hast du es erraten“, lautete die Antwort.
„Ob erraten oder nicht, das bleibt sich gleich. So wichtig ist es aber jedenfalls nicht wie das, was –“
„Laßt das Plaudern!“ unterbrach ich ihn. „Ehe die Reihe, zu reden, an Euch ist, sind vorher schon noch andere da!“
Er merkte, daß er im Begriff gestanden hatte, einen Fehler zu begehen, und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. Auf dem Grund des Einsturzes angekommen, banden wir die Gefangenen von den Pferden, legten sie auf den Boden und setzten uns zu ihnen nieder. Winnetou, welcher nicht
Weitere Kostenlose Bücher