09 - Vor dem Tod sind alle gleich
überhört, so schnell und verlegen wurde sie ausgesprochen. Wieder ging ein Raunen durch den Saal, als klar wurde, daß Bischof Forbassach sich bereit erklärte, Eadulf im Wert von vierundzwanzig Kühen zu entschädigen. Über die Höhe dieser Summe wunderte sich selbst Eadulf.
»Damit ist Eadulfs Schuld beseitigt«, verkündete Barrán. »Aber es soll festgehalten werden, aus welchem Grunde dieser Schuldspruch und dieses Urteil widerrufen werden. Vor Beginn der Verhandlung haben ich und andere Zeugen eine Voruntersuchung vorgenommen. Dabei haben wir von einer Angelegenheit Kenntnis erhalten, die uns entsetzt und uns großen Kummer bereitet hat.
Der Flußschiffskapitän Gabrán war an einem entarteten und perversen Handel beteiligt. Er machte sich das Leid in Not befindlicher Familien zunutze, indem er sie überredete, ihm ihre jungen Töchter zu verkaufen. Er holte die verängstigten Kinder, denn sie waren alle noch nicht im Alter der Wahl, aus Orten im nördlichen Bergland dieses Königreichs und brachte sie hinunter zum Fluß. Mit seinem Schiff beförderte er sie den Fluß hinab zum Seehafen am Loch Garman. Dort verkaufte er sie an Sklavenschiffe, die sie übers Meer schafften. Ja, er verkaufte die Mädchen in die Sklaverei.«
Der Schock und das Entsetzen über den Bericht des Oberrichters ließen eine eisige Stille im Saal eintreten.
»Wir hörten von der Zeugin Fial, einem der Mädchen, die dieses Grauen überlebten, daß Gabrán zum Tier herabgesunken war und seine Gefangenen zur Befriedigung seiner eigenen sexuellen Gelüste mißbrauchte, und das, obgleich sie noch nicht volljährig waren.
Wir erfuhren, daß auf der verhängnisvollen Fahrt, durch die Eadulf zum unschuldigen Opfer wurde, Fi als Gefährtin, ein Mädchen namens Gormgilla, von dem betrunkenen Gabrán genommen wurde, während sein Schiff am Kai der hiesigen Abtei vertäut lag. Die Einzelheiten können wir erraten. Gabrán vergewaltigte das Mädchen, und es wehrte sich. In seiner trunkenen Wut erdrosselte er sie. Es wurde beschlossen, die Schuld auf Eadulf von Seaxmund’s Ham zu schieben. Diejenigen, die diesen üblen Plan ersannen, nahmen in ihrem Hochmut an, er wäre nur ein durchreisender ausländischer Pilger und es würde niemandem auffallen, wenn er geopfert würde, um den Mörder zu dekken. Sie mußten eine Erklärung für den Mord finden, weil die Äbtissin und Mel hinzugekommen waren, bevor die Leiche beseitigt werden konnte.
Es war ein verbrecherischer Plan, aber er ging beinahe auf. Zum Glück hatten sie nicht erkannt, daß Eadulf von Seaxmund’s Ham nicht jemand war, über dessen Tod man schnell hinweggehen würde. Diese überhebliche Meinung wurde ihnen zum Verderben.«
Barrán schaute hinüber zu Fidelma.
»Ich glaube, Fidelma von Cashel, du möchtest an dieser Stelle einige Bemerkungen machen?«
Fidelma erhob sich, und in der Halle herrschte ein erwartungsvolles Schweigen.
»Ich danke dir, Barrán. Ich habe manches zu sagen, denn der Fall kann nicht einfach mit der Entlastung Bruder Eadulfs von Seaxmund’s Ham abgeschlossen werden.«
»Warum nicht?« fuhr Bischof Forbassach von der anderen Seite der Halle dazwischen. »Das war es doch, was du wolltest, oder nicht? Er bekommt seine Entschädigung.«
Fidelma schaute ihn aus funkelnden Augen an.
»Was ich von Anfang an wollte, war, daß die Wahrheit bekannt wird. Veritas vos liberabit ist die Grundlage unseres Rechts. Die Wahrheit macht euch frei – und bis wir nicht die ganze Wahrheit in dieser Angelegenheit kennen, ruhen Verdacht und Finsternis auf diesem Königreich.«
»Suchst du Vergeltung für unsere Fehler?« fragte Forbassach. »Gabrán, der Sklavenhändler, ist tot. Das ist doch wohl Vergeltung genug?«
»So einfach ist das nicht«, erwiderte Fidelma. »Wir haben zwar von der Unschuld Eadulfs vernommen, aber was ist mit der Unschuld Bruder Ibars? Was ist mit dem Tod von Daig? Was ist mit der Unschuld von Gormgilla und zahllosen jungen Mädchen, deren zerstörtes Leben wir nicht wieder in Ordnung bringen können? Nicht Vergeltung ist nötig, um alle diese Tragödien aufzuklären, sondern die Wahrheit.«
»Soll das heißen, daß der Tod Gabráns, des Mannes, der diesen üblen Handel leitete, dich nicht zufriedenstellt, Schwester Fidelma?« Es war Abt Noé, der das sagte. Sein Ton war gemessen, und es war klar, daß er von dem Gang, den die Verhandlung nahm, ebensowenig angetan war wie Bischof Forbassach.
»Mich stellt die Wahrheit zufrieden«, wiederholte
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