09 - Vor dem Tod sind alle gleich
sie. »Hast du die Aussage Fials vergessen? Es war nicht Gabrán, der sie aufforderte, falsch gegen Eadulf auszusagen. Er war betrunken oder bewußtlos geschlagen. Es war auch nicht der Schiffer, der am nächsten Tag ermordet wurde. Du erinnerst dich doch, wie Fial die Ereignisse beschrieben hat?«
Bischof Forbassach stieß einen erbitterten Seufzer aus.
»Wir brauchen uns nicht auf das Wort einer Mörderin zu verlassen.«
Mit wachsendem Zorn hob Fidelma den Kopf.
Abt Noé fuhr fort, bevor sie etwas erwidern konnte.
»Es war offensichtlich Fial, die Gabrán tötete, und es ist klar, daß sie in großer Erregung handelte. Wir verstehen das und machen ihr daraus keinen Vorwurf. Mein Freund Forbassach will sie nicht verurteilen, dennoch ist das die Wahrheit. Begnüge dich damit, Fidelma.«
»Heute vormittag sind wir vor dem Oberrichter alle Aussagen durchgegangen, die in Cobas Halle gemacht wurden«, erwiderte Fidelma. »Ich meinte, es hätte sich klar ergeben, daß Fial Gabrán nicht getötet hat.«
Bischof Forbassach explodierte fast vor Ärger.
»Noch eine Unschuldige, die du verteidigst?« höhnte er.
Barrán beugte sich zu ihm vor. Sein Ton war sachlich und bestimmt.
»Ich würde dir raten, dir deine Worte und ihre Wahl besser zu überlegen, Brehon von Laigin. Ich erinnere dich daran, daß dies mein Gerichtshof ist und in ihm die Regeln der Höflichkeit zwischen den Parteien gelten.«
Fidelma warf Barrán einen dankbaren Blick zu.
»Ich bin bereit, Forbassach zu antworten. Tatsächlich ist Fial eine weitere Unschuldige – und ich bin gewillt, alle zu verteidigen, die nicht der Verbrechen schuldig sind, die ihnen zu unrecht zur Last gelegt werden.«
»Wenn du die Absicht hast, die Wahrheit festzustellen, dann mußt du auch zugeben, daß du Fial nur verteidigst, weil du die Schuld an der Ermordung Gabráns Äbtissin Fainder zuschieben willst!« Forbassach war mit zorngerötetem Gesicht aufgesprungen. Die Äbtissin, blaß geworden, versuchte ihn am Arm auf seinen Platz zurückzuziehen.
»Bischof Forbassach!« Jetzt kamen Barráns Worte wie ein Peitschenhieb. »Ich habe dich schon einmal gewarnt. Ich werde dich nicht noch ein weiteres Mal ermahnen, dein Benehmen gegenüber einer geachteten dálaigh bei Gericht zu mäßigen.«
»Im übrigen«, flocht Fidelma milde ein, »habe ich keineswegs die Absicht, die Äbtissin des Mordes an Gabrán zu beschuldigen. Es ist offensichtlich, daß sie diese Tat nicht begangen hat. Du bist anscheinend entschlossen, die wirklichen Fragen zu umgehen, Forbassach.«
Bischof Forbassach ließ sich verlegen und beschämt auf seinen Sitz zurückfallen. Fidelma fuhr fort: »Die Person, die Gabrán tötete, gehörte mit zu der Sklavenhandelsverschwörung und wurde damit beauftragt, weil Gabrán zu einer Schwachstelle in dieser Verschwörung geworden war. Sein immer verderbteres Verhalten gefährdete das ganze Unternehmen. Um Gabrán herum gab es zu viele Todesfälle, die unwillkommene Aufmerksamkeit erregten.
Die Vergewaltigung und Ermordung eines Mädchens am Kai der Abtei durch Gabrán und der dumme Versuch, das Verbrechen einem unschuldigen Durchreisenden anzulasten, führten zu den darauf folgenden Mordtaten. Die Person, für die Gabrán arbeitete, die wirkliche Macht hinter diesem üblen Unternehmen, sah schließlich ein, daß es an der Zeit war, sich der Dienste Gabráns zu entledigen – und zwar endgültig.«
Die Stille in der Halle war absolut. Es dauerte einige Augenblicke, bis sich Abt Noé entschloß, sie zu brechen.
»Willst du behaupten, daß alle die Todesfälle zusammenhängen?«
»Der Mord an dem Schiffer folgte dicht auf den Tod Gormgillas. Wie lautete Fials Aussage, die wir heute vormittag gehört haben?«
Barrán wandte sich an seinen Schreiber.
»Berichtige mich, wenn das Protokoll anders lautet«, wies er ihn an. »Nach meiner Erinnerung wurde sie von einem der Schiffsleute aus ihrem Gefängnis geholt und sah dabei in der anderen Kajüte Gabrán bewußtlos liegen, entweder im Vollrausch oder niedergeschlagen. In der schwach beleuchteten Kajüte stand eine Gestalt in einer Mönchskutte mit herabgezogener Kapuze. Diese Person befahl ihr, den Angelsachsen als denjenigen zu identifizieren, der Gormgilla getötet hätte. Habe ich es richtig wiedergegeben?«
Der Schreiber, der die Notizen vor sich verfolgt hatte, murmelte: » Verbatim et litteratim et punctatim «, und bekräftigte damit die Richtigkeit der Darstellung.
Fidelma dankte Barrán dafür, daß
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