09 - Vor dem Tod sind alle gleich
Forbassach führte den Vorsitz zusammen mit Äbtissin Fainder. Dazu kam noch ein Mann, der ebenso finster und starr dreinschaute wie Forbassach. Es war ein Abt.«
»Abt Noé?«
Eadulf bejahte mit einem Nicken. »Kennst du den auch?«
»Beide, Bischof Forbassach und Abt Noé, sind meine Gegner von früher her.«
»Bischof Forbassach wiederholte die Beschuldigungen, und ich wies sie zurück. Forbassach meinte, es würde mir schlimm ergehen, denn ich vergeudete die Zeit des Gerichts. Ich wies die Beschuldigungen erneut zurück, denn was sollte ich sonst tun als die Wahrheit sagen?« Eadulf schwieg einen Moment nachdenklich. »Schwester Étromma wurde als Zeugin vernommen. Sie berichtete, wie sie mich in der Abtei aufgenommen hatte. Dann identifizierte sie die Leiche des ermordeten Mädchens als eine gewisse Gormgilla, die als Novizin in die Abtei eintreten wollte…«
Fidelma unterbrach ihn.
»Einen Augenblick, Eadulf. Wie lauteten ihre Worte genau? Über Gormgilla, meine ich.«
»Sie sagte, Gormgilla sei eine Novizin…«
»Das hast du eben anders ausgedrückt. Du hast gesagt, ›die als Novizin in die Abtei eintreten wollte.‹ Warum hast du diese Worte gebraucht?«
Eadulf zuckte verlegen die Achseln. »Ich glaube, so hat sie es gesagt. Kommt es darauf an?«
»Durchaus. Aber erzähl weiter.«
»Das war alles, was Schwester Étromma mitzuteilen hatte, außer dem Hinweis, daß Gormgilla erst zwölf Jahre alt war. Dann wurde das andere Mädchen aufgerufen…«
»Welches andere Mädchen?«
»Das in meine Zelle kam und auf mich zeigte.«
»Ach ja, Fial.«
»Sie stellte sich dem Gericht als Novizin in der Abtei vor. Sie erklärte, sie sei Gormgillas Freundin gewesen. Sie setzte hinzu, sie habe mit ihr verabredet, daß sie sich kurz nach Mitternacht am Kai treffen wollten.«
»Warum?«
Eadulf schaute Fidelma verständnislos an. »Warum?« wiederholte er.
»Hat man sie denn nicht gefragt, warum sie sich mit einer jungen Novizin nach Mitternacht am Kai treffen wollte? Wir reden von Zwölfjährigen, Eadulf.«
»Keiner hat sie danach gefragt. Sie sagte einfach, sie sei zum Kai gegangen und habe gesehen, wie ihre Freundin mit einem Mann kämpfte.«
»Wie hat sie das gesehen?«
Eadulf war verblüfft, Fidelma bewahrte Geduld.
»Es war nach Mitternacht«, erläuterte sie. »Vermutlich war es dunkel. Wie konnte sie das alles sehen?«
»Ich nehme an, der Kai war von Fackeln erhellt.«
»Hat man das nachgeprüft? Und konnte man bei dem Fackelschein das Gesicht des Mannes deutlich erkennen? Hat man sie gefragt, wie dicht sie dran war und wo das Licht brannte?«
»Nichts von alledem. Sie sagte nur aus, sie habe ihre Freundin mit einem Mann kämpfen sehen.«
»Kämpfen?«
»Sie sagte, der Mann habe ihre Freundin erwürgt«, fuhr er fort. »Dann sei er aufgestanden und zur Abtei gerannt. Sie hätte mich als diesen Mann erkannt. Sie sagte, der Mann sei der fremde Angelsachse gewesen, der sich in der Abtei aufhielt.«
Fidelma stutzte wieder. »Sie gebrauchte die Worte ›der fremde Angelsachse‹?«
»Ja.«
»Und du behauptest, du hättest sie vorher nie gesehen? Nie mit ihr gesprochen?«
»Das stimmt.«
»Woher wußte sie dann, daß du ein Angelsachse bist?«
»Wahrscheinlich hat man es ihr gesagt.«
»Genau. Und was hat man ihr noch alles gesagt?«
Eadulf blickte sie traurig an. »Schade, daß du bei der Verhandlung nicht dabei warst.«
»Vielleicht. Du hast noch nicht erwähnt, wer dich vor Gericht vertreten hat.«
»Niemand.«
» Was? « Sie explodierte vor Zorn. »Du hattest keinen dálaigh, der dich verteidigte? Hat man dir keinen angeboten?«
»Ich wurde nur zur Verhandlung geführt. Ich hatte keine Gelegenheit, um einen Rechtsbeistand zu bitten.« Zum erstenmal erhellte eine leichte Hoffnung Fidelmas Gesicht.
»Hier ist vieles schiefgelaufen, Eadulf. Bist du sicher, daß Bischof Forbassach dich nicht gefragt hat, ob du einen Verteidiger möchtest oder dich selbst verteidigen willst?«
»Da bin ich sicher.«
»Was wurden noch für Beweise gegen dich vorgebracht?«
»Ein Bruder Miach sagte aus. Es hieß, er sei hier der Arzt. Er erläuterte im einzelnen, wie das Mädchen vergewaltigt und erdrosselt wurde. Dann wurde ich gefragt, ob ich noch weiter leugne, und ich bejahte das. Da erklärte Forbassach, der Fall werde nach den kirchlichen Gesetzen entschieden und nicht nach den Gesetzen der Brehons von Éireann. Ich solle gehängt werden. Das Urteil werde dem König selbst zur Bestätigung
Weitere Kostenlose Bücher