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09 - Vor dem Tod sind alle gleich

09 - Vor dem Tod sind alle gleich

Titel: 09 - Vor dem Tod sind alle gleich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Tremayne
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einfach so in der Abtei aufgetaucht?«
    Schwester Étromma blieb hartnäckig. »Die Äbtissin hat es mir gesagt, und ich sage es dir. Außerdem nimmt die Vorsteherin der Novizinnen die Neuankömmlinge in Empfang und bildet sie aus. Sie müßte das Mädchen gesehen haben.«
    »Aha. Jetzt kommen wir der Sache näher. Warum hat die Vorsteherin der Novizinnen nicht ausgesagt? Wer ist diese Frau, und wo finde ich sie?«
    Schwester Étromma zögerte. »Sie befindet sich auf einer Pilgerfahrt nach Iona.«
    Fidelma stutzte. »Und wann hat sie die angetreten?«
    »Ein oder zwei Tage vor dem Mord an Gormgilla. Deshalb war es normal, daß ich als Verwalterin der Abtei die Aussage machte. Wahrscheinlich hatte die Äbtissin von der Vorsteherin der Novizinnen erfahren, daß das Mädchen zu ihren Schützlingen gehörte.«
    »Genau darum besitzt deine Aussage keine gesetzliche Grundlage. Du hast nur wiederholt, was man dir gesagt hatte, nicht, was du weißt.« Fidelma war zornig darüber, daß man das gesetzlich übliche Verfahren anscheinend völlig mißachtet hatte. Es waren bestimmt genügend Verstöße gegen die Rechtsordnung vorgekommen, mit denen eine Berufung zu begründen war.
    »Aber Fial war auch Novizin und hat ihre Freundin identifiziert«, wandte Schwester Étromma ein.
    »Dann müssen wir Schwester Fial finden, denn ihre Aussage ist von entscheidender Bedeutung für den ganzen Fall. Suchen wir sie doch gleich.«
    »Nun gut.«
    »Außerdem möchte ich die anderen Zeugen sprechen. Da war noch ein Bruder Miach, glaube ich?«
    »Der Arzt?«
    »Ja, der. Aber vielleicht befindet er sich auch gerade auf einer Pilgerfahrt?« fügte sie sarkastisch hinzu.
    Schwester Étromma überhörte das.
    »Seine Apotheke liegt ein Stockwerk tiefer. Ich bringe dich zu ihm und mache mich dann auf die Suche nach Schwester Fial.«
    Sie wandte sich um und ging die Treppe hinunter. Fidelma folgte ihr.
    Fidelmas Gedanken überstürzten sich. Noch nie in all ihren Jahren als dálaigh hatte sie so offenkundige Verletzungen der Verfahrensregeln erlebt. Sie meinte schon genügend Argumente für eine Berufung und Neuverhandlung des Falles zu haben. Sie konnte kaum glauben, daß der Brehon von Laigin bei einer solchen Farce den Vorsitz geführt hatte. Er mußte doch die Regeln für Zeugenaussagen kennen.
    Das Hauptproblem war anscheinend der Augenzeugenbericht der Novizin Fial. Der wäre der wesentliche Hinderungsgrund für einen zu erwirkenden Freispruch Eadulfs. Ihre Aussage als Augenzeugin war verheerend für Eadulf. Doch die Schilderung der Ereignisse hörte sich bizarr an.
    Fidelma hatte viele Fragen an Fial. Warum hatten sie und ihre Freundin sich mitten in der Nacht am Kai verabredet? Und wie konnte sie das Gesicht des Mörders in der Dunkelheit der Nacht so deutlich wahrnehmen, daß sie ihn wiedererkannte? Wer hatte ihr gesagt, er sei ein fremder Angelsachse? Ging man von Eadulfs Worten aus, dann hatte er Fial vorher weder gesehen noch gesprochen. Hatte man ihn ihr gezeigt? Wenn ja, wer?
    Fidelma seufzte tief, denn sie wußte, sie konnte einzelne Aussagen zerpflücken und Verfahrensverstöße bemängeln, doch die wesentlichen Tatsachen blieben. Eadulf war von einer Augenzeugin erkannt worden. Er war mit Blut auf seiner Kleidung und einem abgerissenen Stück der Kutte des Mädchens gefunden worden. Wie konnte sie diese Beweise widerlegen?
    *
    Die Apotheke war ein großer Raum mit Steinmauern, Holztüren und Fenstern mit Läden, die auf einen Kräutergarten hinausgingen. Getrocknete Kräuter und Blumen baumelten in Büscheln an den Holzbalken, und in einer Ecke brannte ein Feuer in einem Herd, über dem ein großer schwarzer Eisenkessel hing. Darin brodelte eine fürchterlich riechende Brühe. Auf den Regalen ringsum standen Krüge und Kästen.
    Ein älterer Mann drehte sich um, als Schwester Étromma eintrat. Er hielt sich leicht gebeugt, und sein grauweißes Haar ging in einen wallenden Bart über. Seine Augen waren hellgrau, sein Blick kalt und tot.
    »Was ist?« Sein Ton war schrill und verdrossen.
    »Dies ist Schwester Fidelma von Cashel, Bruder Miach«, machte Schwester Étromma sie bekannt. »Sie muß dir ein paar Fragen stellen.« Dann setzte sie, zu Fidelma gewandt, hinzu: »Ich verlasse dich jetzt und suche Schwester Fial.«
    Fidelma begegnete dem mißtrauischen Blick des ältlichen Arztes.
    »Was willst du?« fauchte er. »Ich bin sehr beschäftigt.«
    »Ich werde dich nicht lange von deiner Arbeit abhalten, Bruder Miach«, beruhigte

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