09 - Vor dem Tod sind alle gleich
Freundschaftsbekundungen.«
»Wo befindet sich die schriftliche Botschaft jetzt?«
»Meine persönliche Habe wurde von der Äbtissin beschlagnahmt.«
Fidelma überlegte einen Augenblick. »Hattest du irgend etwas bei dir, was dich als techtaire auswies?«
Eadulf kannte das Wort und lächelte.
»Er gab mir einen weißen Amtsstab mit. Da fällt mir ein, den und den Brief habe ich wohl aus meiner Reisetasche genommen und sicherheitshalber unter dem Bett im Gästehaus versteckt.«
»Also hat man sie wahrscheinlich inzwischen zu deinen anderen Habseligkeiten getan?«
»Das nehme ich an. Dein Bruder wollte mir ein gutes Pferd leihen. Aber da ich nicht wußte, wann und wie ich es ihm zurückgeben könnte, nahm ich lieber einen Platz auf einem Frachtwagen an, den mir ein hierherreisender Kaufmann anbot. Ich wußte, ich würde auf einem Lastkahn flußabwärts fahren können und an der Küste ein angelsächsisches Handelsschiff für die Überfahrt in die Heimat finden. Bis hierher kam ich ohne jeden Zwischenfall.«
Er überlegte einen Moment, um die Ereignisse in der richtigen Reihenfolge zu berichten.
»Am späten Nachmittag erreichte ich die Abtei und bat natürlich um Unterkunft für eine Nacht, da ich annahm, ich würde am nächsten Morgen ein Flußschiff finden. Ich sprach mit der rechtaire, Schwester Étromma, die mich nach meinen Absichten fragte. Ich erklärte ihr, ich sei auf dem Weg zurück nach Canterbury. Ich hielt es nicht für notwendig, ihr zu sagen, daß ich Botschaften für den Erzbischof bei mir hatte. Sie wies mir ein Bett im Gästehaus an. In der Nacht schlief dort niemand anders. Ich besuchte den Abendgottesdienst, aß eine Mahlzeit und ging zu Bett. Ach, Schwester Étromma stellte mich auch der Äbtissin Fainder vor… Doch die schien sehr beschäftigt, oder aber sie mag keine Angelsachsen. Sie ignorierte mich mehr oder weniger.«
»Was dann?«
»Ich lag in tiefem Schlaf. Es muß am frühen Morgen gewesen sein, vielleicht eine Stunde vor Sonnenaufgang, da wurde ich aus dem Bett gerissen. Um mich herum war Geschrei, und ich wurde gestoßen und geschlagen. Ich wußte nicht, was los war. Ich wurde hierhergeschleppt und in eine Zelle gesperrt…«
Fidelma beugte sich interessiert vor.
»Hat dir niemand erklärt, was vor sich ging? Hat man dich irgendwie beschuldigt oder dir gesagt, weshalb man dich zu einer solchen Stunde aus dem Bett holte?«
»Keiner sagte mir etwas, außer daß mir alle Beschimpfungen entgegenschrien.«
»Wann hast du zuerst erfahren, welche Beschuldigung gegen dich erhoben wird?«
»Erst nach langer Zeit. Ich würde sagen, es war gegen Mittag, als dieser riesige Bruder Cett hier in diese Zelle trat. Ich wollte wissen, was los war, aber gleich danach kam Äbtissin Fainder mit einem jungen Mädchen herein. Das Mädchen trug die Kutte einer Novizin, obgleich es noch sehr jung schien.«
»Was weiter?«
»Das Mädchen zeigte einfach auf mich. Niemand sagte etwas, und dann wurde es aus der Zelle geführt.«
»Die Kleine hat nichts gesagt? Kein einziges Wort?« forschte Fidelma.
»Sie hat einfach auf mich gezeigt«, wiederholte Eadulf. »Dann brachte die Äbtissin sie weg. Niemand sprach, und Bruder Cett ging auch hinaus und verschloß die Tür.«
»Wann hat man dir denn mitgeteilt, welches Verbrechen man dir zur Last legt?«
»Das hat man mir erst zwei Tage später erklärt.«
»Du warst hier zwei Tage eingesperrt, ohne daß dir irgend jemand etwas gesagt hat?« Fidelma wurde laut vor Zorn.
Eadulf grinste trübselig. »Und ohne Essen und Wasser«, setzte er hinzu. »Ich erwähnte schon, daß die Gastfreundschaft der Abtei nicht eben die beste ist.«
Fidelma starrte ihn entsetzt an. »Was?«
»Erst nach zwei Tagen kam Bruder Cett wieder herein und brachte mir Waschwasser und etwas zum Essen. Eine Stunde später erschien ein großer, leichenblasser Mann mit einer spröden Stimme und stellte sich als ein Brehon des Königs vor.«
»Bischof Forbassach!«
»Ja, er nannte sich Bischof Forbassach. Kennst du ihn?«
»Er ist mein Gegner von früher her. Aber erzähl weiter.«
»Es war dieser Forbassach, der mir erklärte, ich sei angeklagt, eine junge Novizin der Abtei vergewaltigt und dann erdrosselt zu haben. Ich war sprachlos. Ich sagte ihm, ich sei zur Abtei gekommen, um eine Mahlzeit und eine Unterkunft für die Nacht zu erbitten. Dann sei ich geweckt, ergriffen und zwei Tage lang in diese Zelle gesperrt worden. Er erwiderte, ich sei im Bett gefunden worden mit Blut
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