0905 - Puppenterror
ausgebreitet hatte, der Computer nämlich.
Da glotzte kein kalter Monitor den Betrachter an, da summte kein Drucker, da unterbrach nie das gefühllose Klacken einer Tastatur die Stille. Dieses Zimmer war anders und deshalb auch heimeliger, was an den zahlreichen Puppen liegen konnte, ihren Lieblingen. Ob aus Gummi, Stoff oder Kunststoff, sie waren einfach nicht zu übersehen, und sie stammten aus zahlreichen Ländern, denn ihr Daddy vergaß nie, ihr von seinen Reisen eine neue Puppe mitzubringen.
Und alle Puppen waren freundlich, im Gegensatz zu den Märchenbildern an den Wänden. Die Puppen konnte man sich aussuchen, auf die Figuren in den Märchen hatte Alice keinen Einfluß. Da konnte sie schon differenzieren.
Auf dem Bett, dem Schrank, dem Schreibtisch, überall hockten die Puppen in ihren bunten Kleidern und Hosen und lächelten. Ein Lächeln, das für Alice nicht starr war, denn in ihren Träumen lebten die Puppen, kamen auf sie zu und unterhielten sich mit ihr.
Sie dachte wieder an das Geräusch, und deshalb durchsuchte sie ihr Zimmer sehr genau. Alice wußte, wie sie ihre Puppen aufgebaut hatte. Es wäre ihr sofort aufgefallen, hätte eine an einem anderen Platz gesessen, doch sie hockten noch so da, wie sie ihre Freunde am Morgen verlassen hatte.
Bis auf eine Veränderung!
Der bunte Ball lag auf dem Boden, er war bis vor das Regal gerollt.
Von selbst?
Alice drehte sich um, damit sie das Regal genau untersuchen konnte. Es war so etwas wie ihre Schatzkammer, denn vom unteren ersten Fach bis hin zum oberen war es mit Büchern gefüllt. Unten standen die Bilderbücher, die sie vor einigen Jahren und zu Beginn ihrer Schulzeit noch gelesen hatte, weiter oben hatte sie die Bücher aufgebaut, für die sie sich besonders interessierte, und sie standen auch griffbereit.
Märchenbücher.
Alle Länder der Welt schienen vertreten zu sein. Märchen aus Europa, aus Afrika, aus Asien, aus Amerika, dem Orient vor allen Dingen. In ihnen fand Alice die Gestalt wieder, von denen sie träumte, die zu ihren Freunden geworden waren.
Auch dort zeigte sich keine Veränderung, aber es gab da eine Lücke, das sah sie schon. Nicht mal weit von ihrem Gesicht entfernt tat sich der Spalt auf, und das Buch, das dort entnommen oder herausgefallen worden war, hätte eigentlich vor ihren Füßen liegen müssen, was nicht der Fall war.
Wo steckte es dann?
Alice senkte den Kopf, um den Boden abzusuchen. Sie trat dabei zur Seite und entdeckte das Buch, das neben dem Regal, zum Teil durch das Seitenteil verdeckt, auf dem Boden lag.
Sie hob es auf.
Es war nicht sehr dick, fiel aber mit seinem schwarzgrauen Umschlag auf, auf dem in silbriger Schrift der Titel stand.
Doctor Doll!
Es war ein Buch über einen Puppendoktor, und dieser Puppendoktor verfügte in der Geschichte über magische Kräfte, die er auch immer wieder einsetzte.
Wer das Buch geschrieben hatte, wußte Alice nicht, weil die ersten Seiten fehlten. Sie hatte es nicht in einem Buchladen gekauft, sondern auf dem Trödelmarkt gefunden, als sie im letzten Jahr zu Ostern mit ihren Eltern nach Amsterdam gefahren war.
Alice schlug das Buch auf.
Wenn auch die ersten Seiten fehlten, so war wenigstens das Bild vorhanden, das eben diesen Doctor Doll zeigte, der in diesem Buch wirklich die Hauptrolle spielte.
Er sah seltsam aus, und Alice hatte beim Kauf nicht gewußt, ob sie ihn mochte oder fürchtete. Auch jetzt war sie sich noch unsicher, und zu dieser Zeit fand sie seinen Anblick sogar als bedrohlich.
Wie sah er denn aus? Böse, komisch, vielleicht auch lächerlich? Alice fand die Lösung. Es war eine Mischung aus diesen drei Eigenschaften, zu diesem Ergebnis kam sie.
Wenn sich Alice das Bild so anschaute, dann wußte sie nicht, ob dieser Doctor Doll ein normal ausgewachsener Mensch war oder nur ein Zwerg. Auf der Zeichnung wirkte er eher wie ein Zwerg.
Oder täuschte das? Dann lag es an dem seltsamen Hut, den er trug. Er glich einem Zylinder, war aber nicht so steif wie ein solcher, sondern mehr eingedrückt.
Unter ihm malte sich dann das Gesicht ab, und es wirkte im ersten Augenblick ebenso zerquetscht, zumindest breit, mit zahlreichen Querfalten durchsetzt, die die Haut aussehen ließen wie ein Stück alter Baumrinde.
Komisch wirkte auch der Hals. Er war dünn und gerade. Die Schultern sahen kantig aus, die Jacke war ziemlich kurz, auch dunkel - wie die Hose.
Doctor Doll trug Schuhe, die seine Figur noch lächerlicher machten. Sie waren viel zu groß für ihn,
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