0907 - Die blutenden Bäume
Wahrheit ziemlich nahe gekommen, denke ich mir.«
Horst Grote winkte ab. »Sie können denken, was Sie wollen, es ist mir egal. Nur habe ich keine Lust mehr, mit Ihnen noch länger herumzusitzen. Ich bin müde geworden. Ihr Anblick hat mich müde gemacht.« Er unterstrich seine Worte, indem er mit dem rechten Zeigefinger auf die Tischplatte klopfte. Dann hob er die Hand wieder an und blieb ebenso starr sitzen wie Harry Stahl und sein Kollege Müller.
Auf der Tischplatte war etwas zurückgeblieben.
Ein Blutfleck!
***
Das kleine Hotel lag in einer sehr ruhigen Gegend. Es war von Weinbergen umgeben, eine schmale Straße führte zum Haus hoch, dem auch ein Restaurant angeschlossen war.
Fritz Raskin kannte es von seinen zahlreichen Besuchen. Wenn er hier in der Gegend zu tun hatte, war er des öfteren vorbeigefahren und hatte in dem Haus übernachtet. Er war bekannt, er fiel nicht auf, und er war in der Nacht in sein Zimmer geschlichen, wo er sich unruhig, aber auch voller Kraft in seinem Bett hin- und hergewälzt hatte.
Er hatte sich super gefühlt, aber es war ihm nicht möglich gewesen, sich zu dieser Stunde noch eine Frau zu holen, der er seine Kraft hätte demonstrieren können.
Er war schließlich eingeschlafen und ziemlich spät zum Frühstück gekommen. Zuvor hatte er noch einmal telefoniert und eine positive Bestätigung bekommen.
Das Frühstück wurde in der Gaststube eingenommen. Außer ihm saß noch ein Vertreterkollege dort, der aber Brillen verkaufte und keine Bücher. Sie hatten sich mehrmals in diesem Haus getroffen und auch mal zusammen einen feuchtfröhlichen Abend verbracht.
Als sich Raskin setzte, war der andere im Begriff zu gehen, den Musterkoffer in der rechten Hand haltend.
Beide wünschten sich noch einen erfolgreichen Tag, dann nahm Raskin in seiner Stammecke in einer Fensternische Platz, wo der Korb mit den beiden Semmeln schon stand. Er konnte auch dunkles Brot essen, und der Wirt begrüßte ihn mit einem Heben der Hand.
»Wie immer, Herr Raskin?«
»Nein, ich brauche noch zwei Spiegeleier.«
»So einen Hunger?«
»Ja.«
»Wird erledigt.« Der Wirt verschwand in der Küche, wo er mit seiner Tochter sprach.
Fritz Raskin hatte wirklich Hunger, und er fand es auch legitim. Wer dermaßen mit einer neuen Kraft ausgestattet war, der brauchte etwas zu essen. Und deshalb freute er sich auf eine kräftige Mahlzeit.
Der Wirt trat zu ihm an den Tisch. Er trug eine braune Cordhose, ein kariertes Hemd und eine bräunliche Lederweste darüber. Er brachte den Kaffee, die Wurst und den Käse. Die Scheiben verteilten sich auf einem Teller.
Die Warmhaltekanne stellte er ebenfalls ab und lächelte, wobei sein dunkler Oberlippenbart zitterte. »Das wird ein toller Tag werden, Herr Raskin. Sie brauchen nur nach draußen zu schauen. Sehen Sie sich den Himmel an und die Sonne. Das ist Frühling nach Maß, kann ich Ihnen sagen. Einfach super.«
»Denke ich auch.«
»Und wo wird Sie der Weg noch hinführen?«
Raskin legte den Kopf zurück und lächelte den am Tisch stehenden Mann an. »Er führt nirgendwo hin. Ich bleibe hier. Gegen Mittag erwarte ich Besuch von einer Kollegin. Wir haben einiges zu bereden. Ich möchte Sie darum bitten, daß uns niemand stört.«
»Das geht schon in Ordnung. Wollen Sie denn morgen abreisen oder noch länger bleiben?«
»Kann ich Ihnen das morgen mitteilen?«
»Kein Problem.«
»Danke.«
»Dann wünsche ich Ihnen einen guten Appetit.«
Den hatte Raskin. Die beiden Semmeln würden wohl nicht ausreichen, und er bestellte sich noch Wurst nach. Vier Scheiben Preßsack, den er gern aß. Der Kaffee schmeckte ihm gut, und die Spiegeleier brachte der Wirt ebenfalls. Es freute ihn, daß es seinem Gast so schmeckte, denn in seinem Hotel wurde deftig und ländlich gekocht. Da schmeckte die Wurst noch nach Wurst und würde von jedem Diätplan verbannt werden.
»Nun?«
»Sehr gut.«
»Wenn Sie noch etwas brauchen, lassen Sie es mich wissen.«
»Mach' ich.«
Der Wirt verschwand. Er war in die Küche gegangen und räumte dort auf. Wenig später durchquerte er die Gaststube mit einem vollen Müllsack.
Raskin aß weiter. Er aß nicht nur, er schlang die Nahrungsmittel in sich hinein. Seine Bewegungen steckten voller Gier und glichen denen eines ausgehungerten Menschen, der tagelang hatte darben müssen. An seinen Fingern klebten Spiegeleireste, er putzte sie nicht einmal an der Serviette ab, weil er ununterbrochen das Essen in sich hineinschaufelte.
Auch seine Haltung
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