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0909 - Drachentod

0909 - Drachentod

Titel: 0909 - Drachentod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Balzer
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so eine lahme Ausrede nie akzeptieren. Er will sie lebend.
    Ja, aber warum…
    Das geht dich nichts an. Lauf weiter!
    Lin hetzte durch enge Gassen und mied die belebten Straßen. Wo es nicht anders ging, hangelte sie sich an Balkonen die Hausfassaden entlang oder sprang von Dach zu Dach. Einem bedauernswerten Junkie, der sich in einem Hinterhof einen Schuss setzen wollte, riss sie im Vorbeilaufen die Kehle auf. Sie konnte keine Zeugen gebrauchen.
    Endlich hatte sie ihr Ziel erreicht, eine zu dieser Zeit völlig verlassene Ecke eines kleinen Parks. Unbemerkt schlug sich die Wertigerin abseits der gepflegten Spazierwege in die Büsche. Sofort entdeckte sie die Plastiktüte, die sie vor dem Treffen mit Simon Wang dort deponiert hatte. Sie hielt die prall gefüllte Tüte an die große Tigernase und schnupperte. Niemand hatte sich daran zu schaffen gemacht. Gut.
    Sie legte die Tüte beiseite und konzentrierte sich auf die Metamorphose. Die Rückverwandlung von der energiegeladenen Tigerin zur schwächlichen Menschenfrau war schmerzlich wie immer. Alles in ihr wehrte sich dagegen, als sie spürte, wie ihr etwas die animalische Kraft aus dem Körper zog. Ihr Tierkopf bildete sich in atemberaubender Geschwindigkeit zurück, die dichte Körperbehaarung verschwand in ihrer Haut und dann stand nur noch eine nackte, frierende Frau im Regen.
    Lins Muskeln schmerzten und alles in ihr schrie nach dem Hochgefühl der Macht, das sie eben noch erfüllte hatte. So muss sich ein Junkie beim Entzug fühlen , dachte Lin bitter. Sie hasste ihre menschliche Erscheinungsform. Aber wenn sie in dieser Welt leben wollte, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich zu tarnen. Mit der Lüge zu leben.
    Hastig wusch sie sich an einem nahen Brunnen das Blut von ihrem Körper. Dann öffnete sie die Tüte und holte einen eleganten Hosenanzug, eine weiße Bluse, Unterwäsche und Schuhe hervor. Eine große Sonnenbrille und ein riesiger Hut rundeten das Ensemble ab.
    Selbst die Kriegerin würde sie so nicht erkennen, wenn sie nicht mehr als einen flüchtigen Blick auf sie warf. Ein Teil von Lin bedauerte das. Dann nahm sie das ebenfalls bereit liegende Handy, gab den Pincode ein und wählte eine Nummer.
    Der Angerufene meldete sich nach dem ersten Klingeln.
    »Sprich!«
    Lin räusperte sich, nach der Verwandlung fühlte sich ihre Kehle fremdartig an. Sie musste sich erst wieder einen Moment daran gewöhnen. Dann sagte sie: »Es ist vollbracht. Die Kriegerin hat angebissen.«
    ***
    Lächelnd klappte Lam sein Handy zusammen. Yuens Informationen hatten sich als goldrichtig erwiesen. Es gab doch nichts, was man mit ein bisschen Folter nicht erreichen konnte. Die Kriegerin hat angebissen. Das war die beste Nachricht, die er seit langem gehört hatte. Chin-Li war auf dem Weg nach Hongkong. Und dann wirst du sehen, was es heißt, mich zum Feind zu haben.
    Jahrelang hatte Lam darauf hingearbeitet, die Herrschaft über die Neun Drachen an sich zu reißen. Und jetzt war das große Ziel endlich in Sichtweite. Doch vorher musste er noch zwei Hindernisse aus dem Weg räumen.
    Chin-Li mochte sich von den Neun Drachen abgewandt haben. Doch wenn es darauf ankam, hatte sie sich Meister Shiu gegenüber auch später immer loyal verhalten. Sie würde kaum tatenlos zusehen, wie Lam den alten Greis erledigte. Und wenn sie es nicht verhindern konnte, würde sie nicht eher ruhen, bis sie seinen Tod gerächt hatte. Also musste sie sterben, bevor sie auch nur ahnte, was wirklich gespielt wurde.
    Und dann war da noch dieser französische Parapsychologe, Professor Zamorra. Ein mächtiger Zauberer, der den Neun Drachen in den vergangenen Jahren mehrfach zur Seite gestanden hatte. Auch er war ein zu großes Risiko, das eliminiert werden musste. Doch Lams Kontakte in Frankreich hatten ihm bereits eine Falle gestellt, in die der Parapsychologe und seine Gespielin ahnungslos hineintappen würden.
    Um Chin-Li würde er sich persönlich kümmern. Natürlich hätte Lin die Kriegerin schon in Singapur ausschalten können. Sie hatte ihn sogar regelrecht angefleht, das tun zu dürfen. Doch Lam hatte abgelehnt. Es ist zu gefährlich , hatte er gesagt. Chin-Li ist eine Meisterin des Überlebens. Alleine hättest du keine Chance gegen sie.
    Doch das war nicht der wahre Grund. Lam wollte dabei sein, wenn Lin und ihre Schwester sie zerrissen. Er wollte ihr in die Augen sehen, wenn sie realisierte, dass es vorbei war, wollte das letzte Röcheln ihres ersterbenden Atems hören.
    Der Drachen-Zauberer

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