091 - Die Braut des Hexenmeisters
den Nerven am Ende. Jolliet merkte es und mischte sich vermittelnd ein. „Aber diese Yvette Lescaut muß doch Beweise für ihre Behauptungen haben.“
Jean nickte stumm. Er blickte noch einmal auf seinen Zettel. „Sie wohnt in der Rue de Chabrol Nr. 5.“
„Na, dann nichts wie hin!“ rief Viktor und lief aus dem Büro.
Einige Minuten später war der schwarze Citroen von Inspektor Jolliet unterwegs zum Gare du Nord. Sie fuhren ohne Baulicht und Sirene, und so dauerte es fast eine halbe Stunde, bis sie durch den dichten Verkehr zur Rue de Chabrol gelangten. Jean saß stumm auf dem Rücksitz, die Hände auf den Knien gefaltet. Sein Hemd stand offen, und über dem Klebeverband konnte man eine Art Tätowierung erkennen.
Inspektor Viktor beugte sich zu seinem Kollegen am Steuer und deutete verstohlen mit dem Daumen über die Schulter. „Was hat er denn da auf seiner Brust?“ fragte er leise.
„Einen Klebeverband. Er hatte vorgestern nacht einen Unfall.“
„Ich meine diese komische Tätowierung – hast du die gesehen?“
„Ja“, Jolliet grinste. „Das ist ein Pentagramm. Er hat es mir vorhin gezeigt. Es soll ihn vor Geistern schützen.“
„Diese jungen Leute heute! Im Augenblick sollen ja Sekten und Satansmessen Mode sein. Aber wenn du mich fragst – die sollen lieber etwas arbeiten.“
„Kannst recht haben“, murmelte Jolliet und bremste scharf vor dem Haus Nr. 5.
Die Arbeitsvermittlung von Mademoiselle Yvette lag im Erdgeschoß. Ihr Name war auf ein kleines Schaufenster gepinselt. Daneben befand sich eine Tür, zu der drei ausgetretene Steinstufen hinaufführten. Die Vorhänge hinter dem Schaufenster waren zugezogen. Die Tür war verschlossen.
„Muß früher mal ein Laden gewesen sein“, sagte Viktor und betrachtete das Mauerwerk über dem Fenster. Dort waren noch Buchstaben zu erkennen, die man mit Kalkfarbe übertüncht hatte. „Tatsächlich – eine charcuterie – eine Fleischerei! Na, wenn das kein böses Omen ist.“
Jolliet rüttelte inzwischen an der Tür und klopfte gegen die Scheibe.
Nichts regte sich im Laden.
Dann bückte er sich und blickte durch das Schlüsselloch. „Was ist?“ fragte Viktor ungeduldig.
Jolliet richtete sich auf. „Na“, meinte er gelassen und gab Viktor ein Zeichen, das Jean nicht sehen konnte und sollte. „Dann wollen wir mal die Tür aufbrechen.“
Kurz darauf war der Bürgersteig vor dem Laden abgesperrt. Ein paar Beamte bemühten sich, die Passanten zum Weitergehen zu bewegen. Der Wagen der Spurensicherung war bereits eingetroffen. Nur der Polizeiarzt wurde noch erwartet.
Philippe war eifrig mit Staub und Pinsel an der Arbeit. „Na, wie sieht’s aus?“ fragte Jolliet und stopfte sich eine frische Pfeife. Philipp betrachtete gerade einen Abdruck an einer Schublade mit der Lupe. Er schüttelte den Kopf. „Immer nur die gleichen Fingerabdrücke – alle von der Toten.“
„Also war es ein Profi“, meinte Jolliet. „Und er muß einen Schlüssel gehabt haben. Die Tür war von außen versperrt und das Fenster geschlossen. Kann es vielleicht ein Raubmord gewesen sein?“
Philippe schüttelte den Kopf. „Es wurde nichts angerührt, weder die Sparbücher, noch die Ladenkasse.“
Jolliet brummte etwas Unverständliches und betrachtete noch einmal die Leiche, die lang ausgestreckt vor der Schlafcouch auf dem Boden lag. Die Augen der Frau waren weit geöffnet, aber nicht voller Schrecken, sondern eher verzückt. Sie hatte die Arme weit ausgebreitet und die Beine gespreizt. Sie war angekleidet.
„Wenn man sie so sieht, könnte man fast glauben, sie wäre vor Lust gestorben“, sagte Jolliet nachdenklich.
„Ein Sexualmord war es nicht, wenn Sie das meinen“, bemerkte Philippe.
„Dummkopf, das weiß ich auch“, erwiderte Jolliet. „Und sie sieht so merkwürdig blaß aus. Ich sehe auch keine Blutstauungen – keine Leichenflecke.“
„Noch zu früh dafür“, meinte Philippe.
„Der Arzt wird es uns ja sagen, woran sie gestorben ist“, fuhr Inspektor Jolliet fort. „Nur bedauerlich, daß sie damit nicht ein bißchen länger warten konnte.“
„Du bist schon ein abgebrühter Kerl“, meinte Viktor.
„Wenn ich jemand bedauere“, erwiderte Jolliet, „dann ist es dieser junge Mann, dieser Jean Dougnac. Er sitzt jetzt ganz schön in der Tinte. Er hat die Tote zuletzt gesehen, und er hat kein Alibi.“
Manon hatte ihren Abschiedsbrief an Jean schon in aller Frühe im Bett geschrieben. Sie war so
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