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0911 - Nachtgestalten

0911 - Nachtgestalten

Titel: 0911 - Nachtgestalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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geduldeter Möchtegern. Die haben mich noch nie ernst genommen. Keiner hier, außer Etienne.
    Und Etienne war…
    Ohne ein weiteres Wort stützte sich Luc mit den Händen auf dem Boden auf, drückte sich hoch und kam auf die Beine. Dann machte er auf dem Absatz kehrt und ging. Er sah sich nicht mehr um.
    ***
    Verdammt noch mal, wo war dieser Kerl denn bloß?
    Schneller und immer schneller ging Luc Curdin durch die Straßen und Gassen der Lyoner Innenstadt, vorbei an geöffneten Bars und Restaurants, an Schaufenstern und Menschen. Doch er nahm sie kaum wahr.
    Etienne war tot.
    Die Erkenntnis setzte sich immer stärker in seinem Geist fest. Etienne hatte sich verabschiedet, war gegangen, ohne irgendein Anzeichen zu geben, einen Grund zu nennen. Luc war fassungslos. Er hatte geglaubt, den Älteren zu kennen, ihn zu verstehen. Er hatte sich als Etiennes Vertrauten gesehen, als sein wing man , sein Kamerad.
    Aber das war er nicht gewesen. Nie.
    Und es hatte Etiennes Tod bedurft, damit Luc diese Wahrheit erkannte. Er war nie Teil dieser Clique gewesen. Sondern nur ein 14-jähriger Möchtegern. Ein Hund, der dümmlich bellend Männchen machte, um seinem Herrchen zu gefallen. Ein Accessoire.
    Bilder kamen in ihm auf. Sätze wehten ihm durch den Geist, Sprachfetzen vergangener Unterhaltungen.
    Natacha, den verschmierten Lippenstift auf der Oberlippe: Musst du nicht längst Zähne putzen und Heia machen?
    Er selbst, den kalten Nachtwind im Haar und ganz Lyon unter sich: Ich will weg. Irgendwo hin. Nach Paris. Raus aus diesem Kaff. Dorthin, wo es keinen interessiert, wer du bist.
    Und dann… Falls du dieser Sohn bist, hast du dich die längste Zeit um das gesorgt, was Nicolas Curdin oder Etienne Fontaineux von dir denken. Das verspreche ich dir.
    Verdammt, wo war der Kerl, wenn man ihn brauchte? Wenn man ihn wirklich, wirklich sprechen wollte? Kein Fenster, in das Luc nicht blickte, keine Gasse, die er nicht nach einem Anzeichen von ihm durchsuchte.
    Luc rannte mittlerweile, vorbei an den Ansichtskarten-Gestalten mit ihrem Zahnpastalächeln und leichten Übergangsmänteln aus der neuesten Mode. Vorbei an den Touristen und Spaziergängern, den Feierabendlern mit ihren geregelten Arbeitszeiten, Tagesrhythmen und Denkweisen. Er wollte raus, jetzt mehr denn je zuvor. Raus aus diesem Reiseführer, diesem Hochglanzprospekt des Fremdenverkehrsbüros, in dem er lebte und rapide vor die Hunde ging.
    Irgendwann blieb er einfach stehen und schrie den Namen heraus, der nicht der richtige war, aber der einzige, unter dem er den Fremden kannte. » Le Pen! «
    Wieder und wieder brüllte er ihn mit aller Kraft, brüllte ihn die Straße rauf und die Straße runter, und der Schall brach sich an den Häuserwänden und trug ihn zurück. » Le Pen! Le Pen! «
    Luc hatte ihn nie nach seinem wahren Namen gefragt, aber er wusste, dass der Schnauzbärtige ihn verstehen und sich ihm zeigen würde, wenn er es nur wollte.
    Passanten sahen ihn an, fragend und kritisch. Missbilligend. Gastwirte kamen hinaus auf die Straße, um zu sehen, wer hier so einen Radau machte.
    Nur Le Pen kam nicht.
    ***
    Nicolas und Emma Curdin saßen in der Küche, einen Teller Käsebrote vor sich auf dem Tisch, und starrten ihn an, als wäre er gerade vom Mond gekommen. »Du willst was?«, fragte Nicolas ungläubig, schob seinen Stuhl zurück und richtete sich zu voller Größe auf. Obwohl es längst Abend war, trug er noch immer sein makellos weißes und faltenfreies Hemd und die dunkle Krawatte.
    »Hab ich doch gesagt«, antwortete Luc und griff sich eine weitere Plastikflasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank. Er verstaute sie in dem großen Rucksack, den er aus seinem Zimmer genommen und bereits mit allerhand Kleidungsstücken gefüllt hatte. Nur seine Jeansjacke hatte er zurückgelassen. Sie erinnerte ihn an Lyon, und das Thema war für ihn abgeschlossen. »Ich hau ab,« sagte er schlicht, »nach Paris. Das… das kotzt mich alles an, hier.«
    »Da…« Nicolas lachte kurz auf und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Na, hör sich einer das mal an: Unser Herr Sohn macht plötzlich einen auf James Dean und will sich allein durchschlagen. Hast du dir mal überlegt, wovon du dort leben willst? Wo du wohnen kannst?«
    »Kann dir doch egal sein.« Luc warf einen kurzen Blick zu seiner Mutter, die regungslos am Tisch saß und auf die Schnittchen starrte.
    »Kann mir… Ich bin dein Vater, Lucas! Ob dir das gefällt oder nicht. Und ich sage…«
    Der Knall, mit dem Luc die

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