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0911 - Nachtgestalten

0911 - Nachtgestalten

Titel: 0911 - Nachtgestalten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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seinen Eltern in der Einliegerwohnung.«
    Für einen Moment wusste Brunot nicht, was er darauf noch erwidern sollte. »Dann ist wenigstens immer jemand im Haus, der sich um Sie sorgt«, sagte er dann schlicht und verfluchte sich in Gedanken dafür, überhaupt den Mund aufgemacht zu haben. Irgendetwas an der Präsenz der jungen Frau sorgte dafür, dass er den größten Blödsinn laberte.
    Und Marie Dupont seufzte, als wäre ein halbstarker Verehrer mit übertriebenem Beschützerinstinkt im Moment das Letzte, wonach ihr der Sinn stand.
    ***
    Hölle
    Rachban war so wütend wie selten zuvor - was für ein niederes Dienerwesen der Höllendimension, dessen Existenz ohnehin zum Großteil daraus bestand, durchaus berechtigt unzufrieden zu sein, schon einiges bedeutete. »Jahrelang«, murmelte er und knirschte frustriert mit den Zähnen, während er durch die karge und zerklüftete Höllenlandschaft stapfte. »Jahrelang habe ich mich um diesen Tag gekümmert. Und warum? Weil sie es so wollte! Ihre Idee war das, von Anfang an. Und jetzt so etwas…«
    Mit Schwung trat er gegen einen kleinen Stein aus erkalteter Lava und kickte ihn im hohen Bogen davon. »Ich war es, der sie immer wieder erinnerte, wenn die Zeit gekommen war. Ich war es, der immer alles vorbereitete.« Er seufzte. »Und ich war es auch, der zum Dank für seine Mühen einen Tag im Jahr an ihrer Seite verbringen durfte. Ein Tag mit Stygia, der Schönen.«
    Der kleine Irrwisch schluckte. Nein, es hatte weitaus schlechtere Jobs in seinem Leben gegeben als diesen. Und weitaus hässlichere Arbeitgeber. »Ist man als Ministerpräsidentin etwa zu wichtig geworden, um sich um alte Verpflichtungen zu kümmern?«
    Rachban wusste, dass er keinerlei Ansprüche auf Stygia und ihre Aufmerksamkeit hatte. Dennoch konnte er sich eines Gefühls der Enttäuschung nicht erwehren, derart von ihr abgefertigt worden zu sein. Immer hatte sie Freude an ihrem gemeinsamen Projekt gehabt. Immer!
    Vielleicht sollte er einfach…
    »Genau!«, flüsterte er und schlug sich mit der Hand aufs Knie. »Ich mach's einfach alleine. Ich sorge dafür, dass die Arbeit von Jahren nicht einfach so verschütt geht. Und dann, wenn sie irgendwann wieder zur Vernunft kommt, wird sie mir dankbar sein.«
    Während er seine Schritte zu den teuflischen Archivaren lenkte, die über jedes Ereignis mit Höllenrelevanz Buch führten, lächelte Rachban. Der Gedanke an eine ihm zu Dank verpflichtete Stygia gefiel ihm. Er gefiel ihm sogar sehr.
    ***
    »Was glotzte'n so? Haste noch nie 'ne hart arbeitende Frau gesehn, oder was?«
    Der Japaner mit dem lächerlich aussehenden Sonnenhut zuckte sichtbar zusammen, als Natacha ihn so grob anfuhr, und als Luc zu ihr rüberschielte, sah er auch warum. Mit beiden Armen umklammerte sie ihre abgewetzte Stofftasche, presste sie an die Brust und bemühte sich, dem Mann keinen Blick in ihr Inneres zu gewähren. Luc wusste genau, welche Ware sie darin transportierte und vermutete, dass der verwirrt dreinblickende Asiat ohnehin schon mehr gesehen hatte, als gut für ihn war.
    »Lass gut sein, Chérie«, sagte Etienne, lehnte sich gegen den Sockel der Statue und nahm einen tiefen Zug aus der Rotweinflasche, die sie seit Minuten kreisen ließen. »Der versteht dich ohnehin nicht.«
    Und tatsächlich wandte sich der Tourist in eben diesem Moment zum Gehen; sichtlich ungerührt machte er in keinster Weise den Eindruck, gleich zur Drogenfahndung marschieren zu wollen. Sehen und verstehen sind eben zwei Paar Schuhe , dachte Luc und schmunzelte. Langsam stieg ihm der Wein zu Kopf, und er mochte dieses Gefühl.
    Sie saßen auf dem Place Bellecourt im Herzen der Stadt, wie so oft um die Statue von Louis XIV. versammelt, und hingen ab. In ganz Lyon kannte Luc keinen besseren Ort dafür als dieses große, im Presqu'ile-Distrikt gelegene Terrain. Jeder kam hier vorbei, ob Einheimischer oder Tourist, um über die Rue Victor Hugo oder die Rue de la Republique zu schlendern oder das Touristenbüro zu besuchen, das ebenfalls nur wenige Schritte entfernt lag. Hotels, Cafés und Geschäfte säumten den Platz und lockten Tag für Tag unzählige Menschen in das Arrondissement zwischen Saône und Rhône-Ufer. Im Winter bevorzugte Lucs Clique die U-Bahn-Stationen, in denen es trocken und warm war, doch bei dieser Witterung war der Bellecourt ideal. Wofür auch immer.
    Luc sah, wie Etienne ihm mit der Weinflasche zuprostete. »Echt nett von dir, Curdin. Feiner Zug, uns einen auszugeben.«
    »Á la tienne«,

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