0915 - Macht des Schicksals
Kreuz.
»Spürst du es, St.Clair? Spürst du, daß es etwas Besonderes ist, was ich hier in der Hand halte?«
Er wich zurück und hob die Hand halb hoch, als wollte er die Kraft abwehren.
Das Kreuz war aktiviert worden. Ich spürte seine Wärme, die sich auf meine Hand übertrug. Es glich einem magischen Sensor, der die dunklen Gefahren aufspürte, die in seiner Umgebung lagen.
Ich spielte mit dem Gedanken, die Formel zu sprechen und es zu aktivieren. Dann hätte es seine Kraft entwickelt, die möglicherweise auch zerstörerisch sein konnte, aber in einem anderen Sinn, wie ich angenommen hätte.
Zerstörerisch im wahrsten Sinne des Wortes, und das wollte ich auf keinen Fall. Keine Vernichtung des seelenlosen St.Clair. Noch nicht. Später dachte ich bestimmt anders darüber.
»Auch ich bin ein Sinclair«, wiederholte ich. »Und ich habe auf das vertraut, was du ablehnst. Das ist der große Unterschied zwischen uns beiden. Mein Kreuz hat das Böse besiegt. Ich weiß es, es hat mir oft geholfen, und es ist mein Schutz gegen den, mit dem du einen Pakt geschlossen hast.«
Ich wollte noch mehr sagen, um ihn in die Defensive zu drängen. Er sollte erkennen, wie schlecht seine Position war, aber es trat etwas ein, mit dem ich nicht gerechnet hatte.
Mit einem plötzlichen Schauer auf meinem Rücken begann es. Zugleich kam mir die Luft anders vor, sie war auch kälter geworden.
Es irritierte mich ebenso wie St.Clair, denn er hatte den Arm wieder sinken lassen und schaute sich um, als wollte er etwas Bestimmtes in dieser Kapelle entdecken.
War es zu sehen?
Beide bewegten wir uns und standen trotzdem starr auf dem Fleck. Kein Knistern in meiner Umgebung, obwohl es sich beinahe so anhörte oder ich es mir einbildete. Es mochte daran liegen, daß sich etwas Fremdes eingeschlichen hatte, und als ich dann nach vorn schaute, da entdeckte ich einen menschlichen Umriß.
Ich hielt den Atem an.
Ich wollte nicht glauben, was ich da sah, schaute aber sehr genau hin. Dieser Umriß, der sich tatsächlich bewegte, gehörte zu einem Menschen, nur war dieser Mensch kein Gespenst oder eine geisterhafte Erscheinung wie die Seele des St.Clair, er war einfach etwas anderes. Eine Gestalt, die auf mich den Eindruck machte, als wäre sie in einen Spiegel hineingeschoben worden, dessen Fläche wiederum eine gewisse Unschärfe zeigte. Entweder bewegte sich dieser imaginäre Spiegel oder der Mensch, so genau wußte ich es nicht, aber das Phänomen blieb, als hätten sich zwei Zeitabläufe übereinander geschoben.
Zwei Ebenen.
Auf der einen Seite die Vergangenheit, auf der anderen Seite die Gegenwart, und so war eine brisante Mischung entstanden. Was wir da zu sehen bekamen, mußte sich in der Gegenwart abspielen, genau an dem Ort in der Kapelle, an dem wir uns ebenfalls aufhielten, und es war nicht nur Sven Hansen gewesen, der dieses Phänomen erlebt hatte, sondern jetzt auch zwei andere Personen.
Der eine Mann war Suko, und der andere Mann war ebenfalls ein Bekannter von mir, Abbé Bloch!
Wahnsinn, verrückt, aber nicht unwahrscheinlich, denn in dieser Kapelle hatte alles für uns begonnen.
Suko mußte mich ebenfalls gesehen haben. Er stand sogar »dicht« vor mir. Ich entnahm es seinem staunenden Gesichtsausdruck, und als er jetzt die Hand hob, um mein Gesicht anzufassen, da spürte ich die Berührung nicht, denn sie wehte durch mich hindurch, als wäre ich überhaupt nicht vorhanden.
Es traf zu.
Ich existierte nicht als Lebewesen, nur als ein magisches Bild, als Hologramm, für das es keine logische Erklärung gab. Nichts zu machen.
Im Hintergrund entdeckte ich den Abbé, der etwas in seinen Händen hielt, auf das er starrte. Da ich den Gegenstand nicht identifizieren konnte, ließ ich Bloch in Ruhe und widmete meine Aufmerksamkeit wieder Suko.
Auch er war irritiert. Er redete, aber ich hörte nichts. Ich sah es nur anhand seiner Mundbewegungen. Er sprach auch nicht mit mir, sondern mit dem Abbé.
Suko quälte sich. Da waren wir uns gleich. Wir standen am selben Ort, aber in verschiedenen Zeiten, und sicherlich dachten wir über dasselbe Phänomen nach, doch die Brücke zwischen uns war noch nicht entstanden.
Die Vergangenheit blieb, meine Zeit aber verschwand. Das heißt, Suko und der Abbé zogen sich zurück. Für mich sah es so aus, als wären sie in den Hintergrund gezogen worden, um in einer Wand zu verschwinden, die sich nie mehr wieder freigab.
Kein Winken, kein Lächeln, auch kein verzweifelter Versuch, das Phänomen
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