092 - Der Herr des Schreckens
den unterirdischen Höhlen und Grüften klang ein Heulen, Klagen und Jammern wie von verlorenen Seelen im Höllenfeuer. In der Finsternis der über zweihundert Meter hohen Tempelkuppel wimmerte es.
Ein strahlendes Licht ging plötzlich von dem einfachen, alten Stock aus, das den düsteren Dämonentempel bis in die letzte Ecke erhellte. Was da alles sichtbar wurde, war unbeschreiblich. Schrecken, die gnädige Dunkelheit jahrhundertelang verhüllt hatte.
„Dieser Stock gehörte Kharatse, einem Lehrer des großen Konfuzius“, rief Professor Dulac. „Kharatse hat Zeit seines Lebens die Dämonen und Geister der Finsternis und die Schwarze Magie bekämpft. Dieser kleine, magische Stab war eines seiner wichtigsten Hilfsmittel, und die alten wunder kräftigen Worte sollen die in ihm verborgene Kraft wieder wecken, die dem Grauen und den Schrecken des verfluchten Klosters ein Ende machen soll.“
Professor Dulac und Robert Arvois schrien die Worte heraus, die Giscard Chardier sie gelehrt hatte. Chandar-Chans Gesicht verzerrte sich vor Entsetzen.
„Der Zauberstab des Kharatse“, rief er. „Das also war der Grund, weshalb ich die Vorgänge im Haus des alten Mannes bei Chateaufort nicht durch meine magischen Kräfte erforschen konnte. Der Zauberstab des Kharatse, die gefährlichste Waffe des weisen Dämonenbanners.“
Die Wirkung der Worte von Dulac und Arvois war ungeheuerlich. Die steinernen Dämonenfratzen, die Skulpturen und gräßlichen Darstellungen an den Tempelwänden wurden plötzlich lebendig, vergrößerten sich und fielen übereinander und über die entsetzten Schwarzen Lamas her.
Chandar-Chan kam fluchend und mit hochrotem Kopf auf Dulac, Arvois und Nicole zu. Er drehte wie toll die Gebetsmühle, doch ohne jedes Resultat.
Plötzlich wand sich der leuchtende kleine Stock aus Dulacs Hand. Er wurde zu einer glitzernden, strahlenden Schlange, die sich blitzschnell über den Boden bewegte. Als sie Chandar-Chan erreichte, schlang sie sich um seinen Hals.
Der Herr des Schreckens ließ die Gebetsmühle fallen, er röchelte. Seine Augen quollen fast aus dem Kopf, und die Zunge kam hervor. Während Chandar-Chan starb, tobte in dem Dämonentempel ein wahnsinniges Massaker. Grauenhafte Alptraumgeschöpfe mordeten einander und die schreienden Schwarzen Lamas.
Aus unterirdischen Grüften schrien Kreaturen, die seit Äonen in Wahnsinn und Hunger in ewiger Finsternis schmachteten. Der Boden des Tempels erbebte und wies lange Risse und Sprünge auf.
„Wir müssen hier raus“, schrie Robert Arvois.
„Ohne das Stöckchen haben wir keine Chance“, erwiderte Professor Dulac.
Arvois packte die leuchtende Schlange. Durch seinen festen Griff wurde sie wieder zu einem kleinen Stock. Der Herr des Schreckens war tot, sein Gesicht schwarz verfärbt. Auf seinen nackten Körper stürzten sich kreischend zwei Nachtmahre, kaum daß Arvois sich mit dem strahlenden Stab zwei Schritte entfernt hatte.
Arvois zog Nicole mit sich. Der Professor folgte ihnen. Fassungslos vor Grauen und Entsetzen liefen die drei aus dem Tempel, in dem sich unbeschreibliche Schreckensszenen abspielten.
Im gesamten Kloster tobten, brüllten und rasten Alptraumgeschöpfe. Der riesige graue Dämon am Eingang der Berghöhle hatte seine Fesseln gesprengt und das Felsentor aufgerissen. Brüllend tappte er auf das Kloster zu, und die Schuppenbestien, die sich von ihm nährten, eilten ihm voraus.
Der Lichtschein des Zauberstabes des Kharatse umgab Arvois, Dulac und Nicole, und hatte sie bisher vor Unheil und allen Angriffen geschützt. Doch es war keine Zeit zu verlieren. Die Gefangenen zu befreien war keine Gelegenheit, denn jeden Augenblick konnten die Klostermauern zusammenstürzen. Die drei rannten von dem Kloster weg und auf den Höhlenausgang zu.
Als sie ihn erreichten, begann der graue Dämon mit dem schwarzen, schrecklichen Kopf gerade, das gesamte Kloster zu zerstören. Er schlug und trampelte auf alles ein, was sich bewegte.
Der Hubschrauber stand noch auf der Felsplatte innerhalb der Höhle. Robert Arvois sah seine Chance.
„Los, hinein. Bei der Armee habe ich gelernt, einen Hubschrauber zu fliegen. Ich denke, ich werde mit dem da zurechtkommen.“
Arvois holte weit aus und schleuderte das leuchtende Stöckchen in die Höhle hinein. Der Professor und Nicole folgten ihm in den Hubschrauber, der voll aufgetankt und betriebsbereit war.
Arvois gelang es, ihn zu starten. Wenige Minuten später flog er aus der riesigen Berghöhle, die vom
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