092 - Der Herr des Schreckens
die Gefangenen zusammenzutreiben“, schrie er. „Verdammte Brut!“
„Die Dämonen werden einige von ihnen töten“, rief ein Schwarzer Lama von unten zurück.
„Das schadet nichts“, entgegnete der Herr des Schreckens. „Los, worauf wartet ihr noch?“
Das Tor des Tempels wurde geöffnet. Dulac, Arvois und d’Estienne drängten sich in die zweite Fensternische, um einen guten Überblick zu haben.
„Nicole darf nichts geschehen“, sagte Professor Dulac zum Herrn des Schreckens. „Sonst werde ich keine Sekunde mit Ihnen zusammenarbeiten.“
Chandar-Chan knurrte einen Fluch. Der fette Mann gab Taschmosch und dem Lönchen in tibetanischer Sprache ein paar knappe Befehle. Der junge Schwarze Lama und der Untote bauten sich vor der Fensternische auf, in der die drei Franzosen standen.
Nicole und Sirtana kauerten immer noch in der dunklen Tornische in der Mauer. Die kleine Seitenpforte war verschlossen. Nicole machte sich mit einem Löffelstiel an dem primitiven Schloß zu schaffen.
Aus dem düsteren Tempelportal kamen nun die Schreckensgestalten, die Nicole und Sirtana vorher zu sehen behauptet hatten. Kreischend flatterten Nachtmahre aus dem verzierten Portal, dunkle Schattenwesen mit glühenden Augen und spitzen Zähnen. Sie hatten keine feste Form, als wären sie nur halb stofflich und bestünden zur anderen Hälfte aus einer gräßlichen, formlosen Masse.
Schreckensgeschöpfe verteilten sich und jagten den flüchtigen Gefangenen nach. Die Schwarzen Lamas schrien und sangen Beschwörungen. Einige zeichneten mit Kreide ein großes Pentagramm und kabbalistische Zeichen auf die Pflastersteine des hinteren Innenhofes.
Fast alle Schwarzen Lamas, die im Kloster lebten, hatten sich mittlerweile im Hof versammelt. Sie warteten ab, daß die Grauenskreaturen die panisch erschrockenen Männer und Frauen für sie einfingen und wie in einem Pferch zusammentrieben.
„Sorgen Sie dafür, daß diese teuflischen Wesen meiner Tochter kein Haar krümmen“, wandte sich Professor Dulac wieder an Chandar-Chan. „Sonst können Sie mich in Stücke reißen oder den Teufel selbst auf mich hetzen, Sie erfahren kein Wort von mir.“
Chandar-Chan kicherte nur. Er wies Taschmosch und den Lönchen an, auf Dulac, Arvois und d’Estienne aufzupassen, und eilte hinab in den Hof. Robert Arvois wollte sich auf den Lönchen stürzen.
Doch auf ein paar magische Gesten Taschmoschs hin stieg eine Flammenwand vor der Fensternische auf. Mit einem Schmerzensschrei wich Arvois vor dem grünlichen Feuer zurück. Er war wie die beiden anderen Männer in der Nische gefangen.
Sirtana stieß Nicole, die immer noch an dem Schloß der Pforte in der Mauer arbeitete, den Ellbogen in die Seite.
„Schnell, beeile dich, die Ghule und Nachtmahre sind los.“
Schattenwesen mit glühenden Augen trieben vor Entsetzen schreiende Menschen in die Mitte des Hofes. Einige wiesen stark blutende Wunden auf. Ein Dämon fiel über eine flüchtende alte Frau her, die auf einen der spitzen Türme des Klosters zu rannte.
Das schleimige Geschöpf packte die Schreiende mit seinen Polypenarmen. Ein riesiges, stinkendes Maul klappte auf. Die Frau sträubte sich und brüllte aus Leibeskräften mit überschnappender Stimme, dann verschwand sie in dem Rachen.
Ein Nachtmahr flatterte auf die Nische zu, in der sich Nicole Dulac und Sirtana verbargen. Seine spitzen Zähne bleckten, und ein krächzender Schrei kam aus dem Rachen der furchtbaren Kreatur. Sirtana schrie vor Angst auf.
Nicole war es gelungen, die Pforte zu öffnen. Sie hatte das primitive Schloß aufsperren können. Sie huschte hinaus und zog Sirtana mit sich. Die Pforte flog zu. Der Nachtmahr drehte mit einem enttäuschten Schrei ab, flatterte aber nicht über die Klostermauer, sondern suchte sich ein anderes Opfer im Innern des Klosters.
Auf dem flachen Dach eines Anbaus erschien ein Mann. Zwei Nachtmahre verfolgten ihn. In panischer Angst stürzte er sich vom Dach, um nicht von den dämonischen Alptraumgeschöpfen angefallen zu werden.
Mit zerschmetterten Gliedern blieb er auf dem Pflaster des hinteren Innenhofes liegen.
Nicole und Sirtana rannten von dem Kloster weg in die Finsternis. Die Fackeln und Lampen im Kloster umgaben das Innere der zyklopischen Mauern mit einem düsteren Glutschein, als brenne die Hölle dort drinnen.
Die beiden Mädchen liefen in die Dunkelheit, bis sie nicht mehr konnten. Ihr Atem pfiff, ihre Herzen hämmerten, und in ihren Seiten stach es wie mit Nadeln.
Unter einer
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