092 - Der Herr des Schreckens
gefunden, und andere wurden noch von den Dämonen und Nachtmahren gejagt.
„Wenn Nicole nicht mehr am Leben ist, stürze ich mich aus dem Fenster!“ rief der Professor. „Ich will sofort meine Tochter heil und unversehrt in Sicherheit an meiner Seite wissen.“
Chandar-Chan stieß eine Verwünschung aus. Der Tod Professor Dulacs mußte all seine ehrgeizigen Pläne gefährden und aufs Spiel setzen.
„Ich werde Ihre Tochter herbeibringen, Professor Dulac“, rief der Herr des Schreckens. „Gedulden Sie sich einige Augenblicke.“
Chandar-Chan konzentrierte sich in all dem Trubel auf das Mädchen Nicole. Er schloß die Augen. Die Umwelt existierte für ihn nicht mehr, und er murmelte Beschwörungsformeln und magische Worte.
Die Dunkelheit hinter Chandar-Chans geschlossenen Augen wurde zu einem Nebel. Dann sah er klar und deutlich das Mädchen Nicole. Chandar-Chan erschrak. Nicole gehörte zu den entflohenen Gefangenen. Sie war von einem Rudel rattenartiger, schuppenbedeckter Bestien eingekreist, die gerade über sie herfallen wollten.
In aller Eile vollführte der Herr des Schreckens die magischen Gesten und murmelte die Zauberworte. Vor den Augen von Professor Dulac, Robert Arvois, Kommissar d’Estienne und all den anderen Zuschauern trat eine weißliche Wolke aus seinem Mund und seinen Ohren hervor. Sie verlor die Verbindung zum Körper, verdichtete und verfärbte sich.
Aus der weißlichen, nebelartigen Wolke wurde eine massive, schwarze, drohende Masse mit glühenden Augen und klauenartigen Auswüchsen, ähnlich jener, die bei der Entführung Nicole Dulacs in Paris Robert Arvois und die drei Polizisten hypnotisiert und in Bann geschlagen hatte.
Die schwarze Wolke raste davon.
Im Moment, als die schuppigen, rattenartigen Bestien über die vor Entsetzen gelähmte Nicole herfallen wollten, erschien die schwarze, dämonische Wolke über dem Mädchen. Blitze zuckten daraus hervor. Mehrere der widerlichen Bestien verbrannten.
Die anderen flohen quiekend und pfeifend in panischer Furcht.
Entsetzt sah Nicole zu ihrem schrecklichen Retter auf. Die Wolke blieb drohend über ihr hängen, bis die Schwarzen Lamas aus dem Kloster bei ihr eingetroffen waren. An massiven Silberketten führten die Lamas monströse Fährtenhunde mit geifernden Mäulern, aus denen phosphoreszierender Speichel tropfte.
Es waren Ungeheuer von der Größe von Kälbern mit schwarzem, zottigem Fell, durch das die Skelettknochen deutlich zu sehen waren.
Die Schwarzen Lamas fielen aufs Gesicht nieder, als sie die dunkle Wolke sahen.
„Bringt das Mädchen zum Kloster zurück“, grollte es aus der Wolke.
All diese Schrecken waren zuviel für Nicole. Zum ersten mal in ihrem Leben fiel sie in Ohnmacht. Ein gnädiges Dunkel umfing ihre Sinne. Sie spürte nicht, wie sie von den Schwarzen Lamas aufgehoben und davongetragen wurde, und sie sah nicht, wie die schwarze Wolke schnell auf das Kloster zu schwebte
Professor Dulac geriet fast außer sich, als Nicole ins Kloster getragen wurde.
„Sie ist tot, Chandar-Chan“, schrie er. „Verflucht sollst du sein, du Teufel in Menschengestalt. Du Dämon! Du Bestie!“
„Das Mädchen ist nur bewußtlos“, sagte Chandar-Chan. „Sie können gleich in einem der Besucherzimmer mit Ihrer Tochter reden, Professor.“
Chandar-Chan sagte einige Worte zu den Schwarzen Lamas, die Nicole hergebracht hatten. Diese trugen das Mädchen ins Hauptgebäude des Klosters. Chandar-Chan bemühte sich inzwischen, Ordnung in den Tumult rundum zu bringen.
Die zitternden Gefangenen waren zusammengetrieben worden. Chandar-Chan wies die jammernden, wimmernden und betenden Menschen nun an, in den unterirdisch gelegenen Trakt des Gebäudes an der Westseite des Klosters zu gehen, wo ihre Zellen sich befanden.
Der Herr des Schreckens und die Schwarzen Lamas hielten die Dämonen und Nachtmahre mit Beschwörungen und Bannworten zurück. Die Ungeheuer hätten sonst noch weitere Gefangene getötet.
Nachdem die Opfer wieder in ihren Zellen eingeschlossen waren, wurden die dämonischen Jäger in den Tempel zurück verbannt, wo sie in unterirdischen Gräbern und Grüften und in Nischen der Tempelkuppel hausten.
Professor Dulac, Robert Arvois und Kommissar d’Estienne waren inzwischen aus den Räumen des Chandar-Chan zum Trakt der Besuchszimmer geführt worden. In einem großen, altertümlich und prunkvoll eingerichteten Raum lag Nicole auf einer mit rotem Brokatsamt bezogenen Liege. Die Augen des Mädchens waren
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