092 - Piraten im Nordmeer
sie sich dann nach dem Essen eine Kiffette ansteckte, bot sie ihm eine an und lud ihn ein, an ihrem Tisch Platz zu nehmen. Der Smoytje fühlte sich sichtlich geschmeichelt, und kurz darauf erfuhr Laryssa einige Dinge von ihm, die ihr vielleicht von Nutzen sein konnten.
Natürlich tastete sie sich sehr vorsichtig an die Themen heran, die sie am meisten interessierten.
Ja, sagte der Smoytje, Grimür habe, was ihren letzten Fischzug anbetraf, keinesfalls übertrieben: Sie waren bei den Skoothen gewesen. Die Beute hockte im Laderaum und wartete darauf, auf Byorn an den Mann gebracht zu werden. Dralle Weiber, grinste der Koch, die gewiss einen guten Preis brachten. Ja, und Grimür war nicht nur Erster Offizier, sondern auch ein rachsüchtiger Pinkel, vor dem man sich in Acht nehmen musste. Er trank zu viel und konnte seine Zunge nicht im Zaum halten.
Bootsmann Ingmor habe einige Freunde an Bord gehabt, die sich über sein Ableben gewiss nicht freuten. Da gab es speziell einen gewissen Mikael, dem er Geld geschuldet hatte, das dieser nun nicht mehr zu Gesicht bekommen würde.
O ja, und Kapitän Orland wäre nicht nur ein weit gereister, sondern auch sehr wortgewandter Mann. Unter der Mannschaft wurde gemunkelt, er entstamme einem hohen Hause. Als junger Mann habe er eine Schandtat begangen und sei fortgelaufen, um sein Glück auf See zu suchen. Nein, ein Weib habe er nicht – aber er käme bei den Damen immer gut an, weswegen die Offiziere ihn hinterrücks den »Umleger« nannten (vertrauliches Augenzwinkern).
Ob Orland je auf einem Kaperschiff König Eisenarms gefahren sei? Der Smoytje überlegte angestrengt, doch darüber war ihm nichts bekannt, denn er war selbst erst seit einem Jahr auf der Sturmbraut.
Dann ließ Laryssa sich von ihm den Weg an Deck beschreiben und schritt in den hellen Tag hinauf. Die See war nur leicht bewegt. Die schartige Küste der Finni war nicht mehr zu sehen. Um sie herum reflektierte das Wasser das Licht der glosenden Sonne. An Deck hielten sich einige bärbeißig wirkende, farbenfroh gekleidete, bis zum Hals tätowierte Gestalten auf. Dass sie einen Dienstgrad hatten, zeigte sich darin, dass sie untätig waren: Sie stützten sich auf die Reling, rauchten Kiffetten und scherzten. Als sie Laryssa erblickten, zollten sie ihr Respekt, indem sie die Glimmstängel aus dem Mund nahmen, grinsten und »Ahoi, Bootsmann«, sagten.
Laryssa nickte den Flybusta zu, baute sich mittschiffs an der Leeseite auf und begutachtete die glatte See. Dann hob sie den Blick, ließ ihn am Hauptmast entlang zu den Rechtecksegeln hinauf wandern und empfand plötzlich leichte Übelkeit. Sie war nicht zum ersten Mal auf dem Meer, aber dieses Gefühl hatte sie noch nie empfunden. Ob sie seekrank wurde? Würde sie den Respekt der Mannschaft verlieren, wenn sie sich über die Reling beugte und die Fische fütterte? Konnte Kapitän Orland sich einen Bootsmann leisten, der sich schon bei kaum wahrnehmbarem Wellengang übergab?
Wudan, steh mir bei…
»Ah, die Furie«, krächzte unerwartet ein heiseres Organ.
»Hast wohl nichts zu tun, was? Hältst hier Maulaffen feil.«
Laryssa drehte sich langsam um. Hinter ihr stand Grimür. An der Stelle, an der ihr Säbel seine Kehle geritzt hatte, zierte ein Verband seinen Hals. Das Weiß in seinen Augen war von feinen roten Adern durchzogen. Man brauchte kein Mediker zu sein, um zu erkennen, dass es ihm schlechter ging als ihr: Der Foydka, den er am Abend zuvor genossen hatte, spielte ihm nun übel mit.
Grimürs Blick kündete unverhohlen von Rachsucht, aber nach der Niederlage am gestrigen Abend, den Orland und fünf oder sechs Angehörige der Mannschaft miterlebt hatten, wagte er wohl nicht, den Streit jetzt wieder aufzunehmen. Vielleicht schätzte er aber auch seinen körperlichen Zustand richtig ein und wusste, dass es nur in einem Fiasko enden konnte, wenn er das Maul zu weit aufriss.
»Kapitän Orland hat angeordnet, dass ich mich erst einige Tage mit der Sturmbraut und der Mannschaft vertraut mache, bevor ich den Dienst antrete«, entgegnete Laryssa und achtete sorgfältig darauf, nicht schnippisch zu klingen. Grimür gegen sich aufzubringen konnte ihr nicht dienlich sein: Er war ihr Vorgesetzter und konnte sich tausend Möglichkeiten ausdenken, ihr das Leben zur Vorhölle zu machen.
»Soso, hat er das«, knurrte Grimür. In seiner vom Suff heiseren Stimme klang leichte Enttäuschung mit, denn gegen eine Anweisung des Kapitäns konnte er natürlich nichts machen.
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