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0927 - Nacht über GALAHAD

0927 - Nacht über GALAHAD

Titel: 0927 - Nacht über GALAHAD Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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den Knöpfen ihrer aschgrauen Strickweste spielten -, hatte er sie noch nie gesehen. Kein Schmuck, kein Make-up, nicht einmal die übliche, sorgsam aufeinander abgestimmte Garderobe… Es war ihre Natürlichkeit, die den Mann in ihm so ansprach, und irgendwo tief in seinem Inneren schämte er sich für diese Reaktion. Denn die Frau vor ihm litt Höllenqualen, das sah er ihr an.
    »Gott sei Dank«, sagte sie leise, und der Blick ihrer tränenfeuchten Augen wanderte an ihm herab. »Tut mir leid, dich damit zu behelligen. Ich wusste nicht, wen ich sonst…«
    »Kein Problem«, sagte er sanft, als sie nicht weitersprach. »Wer wäre ich, wenn ich meinen Freunden nicht zu Hilfe käme?«
    Florence nickte schluchzend, trat zur Seite und ließ ihn ein.
    Die Wohnung war ein einziger Saustall. Umgestürzte Möbelstücke, wohin das Auge blickte. Bücher waren aus den Regalen gerissen worden, Bilder von den Wänden gezerrt. Kissen sahen aus, als seien sie von innen heraus geplatzt, und hatten ihre Füllungen aus weißen Federn weitflächig verteilt. Eine teflonbeschichtete Bratpfanne steckte mit dem Griff voraus mitten in dem breiten Flachbildfernseher, der an der hinteren Wand des Wohnzimmers hing. Die Schnur des Telefons war gekappt und derart gewaltsam aus der Wand gezogen, dass ganze Bahnen an Tapete der brutalen Fremdeinwirkung ebenfalls nachgegeben hatten.
    Zamorra ließ den Anblick auf sich wirken und pfiff leise durch die Zähne. »Wie lange ist es her, sagtest du? Sechs Stunden?«
    Florence schluckte hörbar. »Mi… mindestens. Remy und ich, wir… verstanden uns in letzter Zeit nicht mehr so gut, weißt du? Von daher…«
    Wer nicht? , dachte er. Die Überraschung über das unzweideutige Geständnis ließ ihn die aufkommende Erinnerung an Nicole Duval fast wieder vergessen. »Du bist ausgezogen?«, fragte er schnell.
    »Vorübergehend«, bestätigte sie. Und dann, leiser: »Bis sich die Dinge wieder normalisieren.«
    »Aber er blieb hier, allein?«
    Abermals nickte sie stumm.
    »Wann hast du ihn zuletzt gesprochen?«
    »Gestern Abend gegen elf, das hat die Polizei auch gefragt. Wir telefonierten kurz miteinander. Er hatte Hausarbeiten seiner Studenten korrigiert und wollte sich noch einen Spätfilm im Fernsehen anschauen, bevor er ins Bett ging. Als ich heute aufwachte, hatte ich eine SMS von ihm im Speicher meines Handys, die um zwei Uhr dreißig versendet wurde. Da muss er also noch wach gewesen sein. Und…«
    »Und hier«, beendete er den Satz und reichte ihr ein Taschentuch. »Kann ich die Nachricht mal sehen?«
    Florence zog ein kleines Samsung aus ihrer Westentasche und zeigte sie ihm. »Lars von Trier wird überbewertet, Cherie«, las er. »Wenig mehr als ein talentierter Provokateur. Und jetzt gute Nacht. Frühstück im Point d'interrogation um zehn?«
    Ein nahe der Sorbonne gelegenes Café im Rive Gauche, dessen Klientel sich primär aus Vertretern des studentischen Paris zusammensetzte. Zamorra kannte es noch aus seiner eigenen Dozentenzeit.
    »Klingt nicht so, als habe Remy noch mit Besuch gerechnet«, sagte er und gab ihr das Gerät zurück. »Oder damit, abrupt zu verschwinden.«
    »Das hat die Polizei auch gesagt.« Florence hob die Schultern. »Aber sie wollen der Sache natürlich nachgehen…«
    »Was mich zu meiner nächsten Frage führt«, setzte der Meister des Übersinnlichen vorsichtig an. »Warum bin ich hier? Du weißt, dass ich für euch gerne alles stehen und liegen lasse, so es in meiner Macht steht, aber - und bitte verzeih, wenn das jetzt härter klingt, als beabsichtigt - das sieht mir sehr stark nach einem gewöhnlichen Gewaltverbrechen aus. Einbruch, Diebstahl, Kidnapping - fraglos eine schlimme Sache, doch ohne… Wie hast du es am Telefon ausgedrückt?… ›dein besonderes Etwas‹?«
    Es war zum aus der Haut fahren. Er kannte Florence und Remy seit Langem, auch wenn sie sich so gut wie nie sahen - was ohnehin Absicht war. Seit er ihnen vor vielen Jahren aus einer sehr unangenehmen Lage dämonischen Ursprungs geholfen hatte, sorgte sich die deBlaussec-Stiftung um das Paar. Die Schatten der Vergangenheit hatten Spuren an Remy Baudoin hinterlassen, die es ihm unmöglich machten, weiterhin ein normales Leben zu führen. Seitdem glich die Stiftung allmonatlich finanziell aus, was zu erwirtschaften Remy selbst nicht mehr in der Lage war, und gestattete ihnen dadurch zumindest ein halbwegs normales Leben.
    Einerseits wünschte sich Zamorra nichts sehnlicher als seinen Bekannten zur Seite

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