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0927 - Nacht über GALAHAD

0927 - Nacht über GALAHAD

Titel: 0927 - Nacht über GALAHAD Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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»Kein Haus am Wegrand hält mich auf,
    durchs Land mich zieht's, ob grün, ob fahl.
    Ich trotz selbst der Gezeiten Lauf
    und find den Heilgen Gral.«
    Alfred, Lord Tennyson »Sir Galahad«
    Kapitel 1 - Fisher: Feuerwerk
    Cromarty Firth, 31. Dezember 1915
    Maschinist Nathaniel Fisher rannte - um sein Leben, das seiner Kameraden, ja vielleicht sogar der ganzen Welt. Die Papiere in der Kladde unter seinem Arm knisterten bei jedem Schritt, als wollten sie ihn konstant daran erinnern, was er da tat. Was er gesehen hatte. Und was er noch immer nicht glauben konnte.
    Weil es nicht sein darf!
    Die Sohlen seiner schwarzen Marine-Halbschuhe klapperten laut auf den Bodenbrettern. Sein Atem ging rasselnd und der Schweiß, der ihm von der Stirn in die Augen lief, war kalt. Eisig.
    »Stevie, bist du hier irgendwo?«
    Keine Antwort. Der Kanonier, mit dem er die letzten Monate die Kabine geteilt hatte, war wie vom Erdboden verschluckt - und der Rest der Besatzung gleich mit ihm. Im Inneren der HMS Natal war es so still geworden wie in einem Sarg. Seit Nathaniel den Maschinenraum so abrupt verlassen hatte, war er keiner Menschenseele begegnet. Und obwohl das für sein Unterfangen nur von Vorteil war, kam sich der junge Mann allmählich vor, als sei er der letzte lebende Mensch auf einem Geisterschiff. Das Deckenlicht flackerte, während er um eine Ecke bog und in den nächsten Korridor einschwenkte. Wenige Meter vor ihm war die Treppe, endlich. Die schmalen metallenen Stufen wirkten wie der schönste Anblick seines jungen Lebens, denn sie bedeuteten, dass er dem Ziel nahe war. Der Freiheit. Er musste hoch, an Deck, raus hier. Er musste eines der Rettungsboote stehlen und sehen, dass er an Land kam, bevor…
    »Und wie, glaubst du, willst du das anstellen, he?«
    Die Stimme war so plötzlich erklungen, dass Nathaniel zusammenzuckte und laut aufschrie. Es war eine harte Stimme, ihr Ton kalt und gehässig. Unmenschlich. Stocksteif blieb Nathaniel stehen. Der Schock sorgte dafür, dass seine Beine ihm jeden weiteren Schritt versagten.
    »Wie soll das gehen?«, fragte die Stimme erneut, hallte von den Wänden wider und jagte Schauer des Entsetzens über seinen Rücken.
    Noch bevor Nathaniel sich fangen konnte, hörte er Schritte. Ein Mann kam die Stufen herab und trat in sein Sichtfeld. Er sah aus wie Commander Jim McNulty, und doch wusste der Maschinist mit grausamer Gewissheit, dass diese gotteslästerliche Kreatur vor ihm nichts mehr mit seinem jovialen Vorgesetzten gemein hatte. McNultys Augen waren zu pechschwarzen Onyxen in einem aufgedunsenen, teigigen Gesicht geworden, das neben den scharf geschnittenen Zügen des Commanders auch jegliche Farbe verloren hatte. Sein Mund war ein dünner Strich, hinter dem zwei schiefe Zahnreihen nahezu sekündlich schneller verfaulten. Die fahle, ungesund wirkende Haut an Wangen, Stirn und Händen schlug Blasen, als wäre sie ein auf kleiner Flamme kochender Cullen Skink, die berühmte schottische Fischsuppe. Und jede neue Erhebung ließ McNulty weniger wie ein Mensch wirken. Jede Beule machte ihn mehr zum Monster. Quallenhaft sah er aus, die Wangen nahezu durchsichtig.
    Nathaniels Mund stand offen, doch kein Ton wagte sich heraus. Es war vorbei, und das wusste er. Dazu hätte es der Dienstwaffe in der ausgestreckten Hand des Offiziers gar nicht bedurft, deren Lauf zielsicher auf Nathaniels Brustkorb gerichtet war.
    Das nahezu wie wild blinkende Licht der hektischen Deckenlampen ließ die Orden auf McNultys Uniformjacke aufleuchten wie Neujahrsfeuerwerk an einem Nachthimmel. Oder wie eine Explosion…
    »Keine Antwort ist auch eine Antwort.« Die Stimme des Commanders war ein lautes Zischen und erinnerte Nathaniel an eine angreifende Giftschlange. »Ich sage dir, was du anstellen kannst, Nate, okay?«, fuhr McNulty fort. »Du kannst natürlich versuchen, ein Boot zu stehlen - am helllichten Tag und auf Deck, wo dich jeder sieht. Aber so dumm bist nicht einmal du. Nein, du wirst irgendwann selbst merken, dass dein Leben verwirkt ist und du nur noch von Bord gelangst, indem du in einem unbeobachteten Moment von der Reling springst und schwimmst, als wäre Luzifer hinter dir her.« Bei diesen Worten kicherte der Offizier so sehr, dass einer seiner schiefen Zähne aus seinem Mund rutschte und zu Boden fiel. Er beachtete ihn gar nicht. »Aber bis zum Ufer des Cromarty Firth ist es weit. Außerdem: Wenn du stiften gehst, rettest du nur dich, nicht die Mission. Und unser Nate ist ein dem ollen George

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