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0934 - Der Schlüssel zur Quelle

0934 - Der Schlüssel zur Quelle

Titel: 0934 - Der Schlüssel zur Quelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Borner
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er schließlich gekommen.
    Das muss an der Energie liegen , dachte der Silbermond-Druide. Seiner Energie. Sie durchzieht die ganze Unit wie ein unsichtbares Netz, und in ihr… schwingen Empfindungen, Momentaufnahmen mit. Ich habe wohl gerade eine abbekommen.
    Es war absurd, und doch ergab es Sinn. Zumindest nicht weniger als der Rest dieser abscheulichen Erfahrung. Gryf sah sich um. Die Zellentüren zu seiner Linken standen allesamt offen. Zwei von ihnen hatten die Insassen bei deren Versuch, die unverhoffte Freiheit auszunutzen, zwischen Wand und Türrahmen zerquetscht. Hirnflüssigkeit schwamm in Pfützen auf dem grau gestrichenen Boden, durchsetzt von roten Blutzuflüssen, in denen sich das Leuchten der Warnlichter und das tiefe Rot der wenigen noch intakten Notstromlampen spiegelte. Die anderen Zellen waren menschenleer. Gryf lief los.
    Den Gang entlang, immer nach rechts und links schauend, suchte er nach Lebenszeichen. Nach einer Orientierung. Dort stand ein weißes Pferd vor der Emailletoilette einer Gefangenenkammer und trank begierig aus der Schüssel. Da lehnte ein glatzköpfiger Schlipsträger an einem leeren Hochbett und ließ sich von einer dicklichen Blondine verwöhnen, deren Haar aussah, als bestünde es aus Meerwasser. Zwei Meter weiter jonglierte ein einbeiniger Zirkusclown mit drei brennenden Armadillos, während um ihn herum Skorpione tanzten.
    Jede Zelle war ein neues Bild des Absurden. Jede Zelle konnte nicht sein, was sie war. Ein Anblick wie im Drogenrausch.
    Erinnerungsfetzen , wusste Gryf. Unzusammenhängende Eindrücke, die, wild zusammengewürfelt, erscheinen, weil der Geist, der sie aussendet, jeglichen Fokus verloren hat. Nichts an ihnen ist real. Sie sind Phantome einer verwirrten, übermächtigen Fantasie.
    Der Silbermond-Druide rannte weiter durch das Gefängnis, stieg über grausam verunstaltete Tote - Wachmänner wie Insassen - und kam sich vor, als bewege er sich durch das Gehirn des Mannes, den er suchte. Den er aufhalten musste, trotz allem.
    Als er an eine Kreuzung kam, hörte er den Jubel. Ein kehliges Geschrei und Gegröle, das von irgendwo weiter vorn zu kommen schien. Gryf zögerte, denn der Klang wirkte alles andere als freundlich.
    Plötzlich eilten zwei Wachmänner aus einem Seitenkorridor, große Gewehrpistolen in den Händen, und steuerten auf die Quelle des Lärms zu. Als sie Gryf sahen, hob der Linke - ein sichtlich überfordertes Bürschlein von vielleicht fünfundzwanzig Jahren, das aussah, als könne es kaum Auto fahren, geschweige schießen - die Waffe, richtete sie auf ihn… und Gryf reagierte prompt. Noch bevor die Kugel die Wand hinter ihm traf, war er schon gesprungen. Fort, nur fort.
    ***
    »Mensch, mach den Mund zu, du Arsch. Oder willst du, dass die dich für einen Behindi halten?«
    Gryf spürte, wie ihm (ihm?) der Mund offen stand, und wusste sofort, warum. Weil die Person, in die er nun »gesprungen« war, so viel Technik noch nie auf ein und demselben Platz gesehen hatte. Fernseher soweit das Auge reichte. Stereoanlagen, Ghettoblaster, Desktop-PCs…
    »Ach du Scheiße«, erklangen Worte in einer Gryf unbekannten Stimme aus diesem Mund. »Ich hab ja gewusst, dass es viel ist, aber das…«
    »Wie im Schlaraffenland.« Ein braunes Gesicht kam in sein Blickfeld, grinste. Es handelte sich um einen jungen Mann, kaum sechzehn. Dunkle Augen, ein schwarzes Tuch als Kopfbedeckung. »Nur ohne Essen.«
    Omar Gryf nickte. »Das kannste laut sagen. Und du bist sicher, dass Avon damit kein Problem hat?« Normalerweise lieferten sie nicht frei Haus. Wer den Stoff wollte, sollte gefälligst an den Ecken auftauchen, die Leute wie Omar Little im Auftrag von Avon Cillings besetzten. So lief das Spiel, und ohne das Spiel verlor das Leben seine Struktur, fand Omar. Ohne das Spiel herrschte Chaos.
    »Klar hat er das. Meinst du, ich ziehe hier eine Aktion ohne Avons Einverständnis durch?« Der Junge - Poot, wusste Gryf plötzlich - zwinkerte ihm zu, dann wandte er sich um und ging durch den Gang in den hinteren Bereich des Elektromarktes. »Der alte Billingsley ist eben nicht mehr gut zu Fuß«, sagte er dabei über die Schulter gewandt. »Und der Boss meinte, wenn der Prophet nicht zum Berg käme, müsse der Berg eben zum Propheten.«
    Aus versteckten Lautsprechern plärrte Popmusik. Unzählige Fernsehgeräte liefen, tauchten den Laden in ein wahres Bildermeer. Verstreut standen Kunden an den Regalen, betrachteten die Waren oder unterhielten sich mit den

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