094 - Das Mädchen auf dem Teufelsacker
nestelte sie an der Bluse herum. Ihre blonden Haare wehten im lauen Nachtwind. Ich muß, so dachte sie, doch ein richtiger Leckerbissen für ihn sein.
„Komm jetzt, Liebster!" versetzte sie lockend. „Ich schwöre dir, ich bin dir nicht böse und warte nur auf dich, seitdem wir uns trennen mußten."
Erwartungsvoll schaute sie sich um, denn sie rechnete damit, daß er jeden Moment aus einem Versteck hervortrat. Sie bewegte sich kokett. Lange kann er nicht mehr widerstehen, dachte sie vergnügt.
Ein Geräusch ließ sie herumfahren. Sie blickte über die Schulter und erkannte die Umrisse zweier großer Gestalten, die auf sie zutraten. Über ihren Häuptern flatterten die Fledermäuse. Schwerfällig bewegten sie sich, und unter ihren schweren Schritten knirschte das Erdreich.
Sie blieben dicht hinter ihr stehen. Ziemlich deutlich sah sie nun ihre Gesichter - oder vielmehr das, was davon übriggeblieben war.
Sie lächelte. „Mein Gott, Ole - du hast mich richtiggehend erschreckt!"
Ole Fjellstues Haupt glich einem Totenschädel. Seine Kleidung hing nur noch in Fetzen an seinem grauenvollen Körper.
Der zweite sah kaum anders aus, er war nur breiter und etwas kleiner an Wuchs als Ole. Diabolisch grinsend verharrte er neben seinem Begleiter.
„Eike Gynt, der Wirt!" stieß Laeibe erfreut hervor. „Daß Sie auch hier sind! Haben Sie Freundschaft mit Ole geschlossen? Das ist wirklich nett. Sie werden es nicht bereuen. Im Gegensatz zu dem, was viele Leute aus Tingvoll sagen, ist Ole ein gutmütiger, hilfsbereiter Bursche. Vielleicht sind Sie bereit, als Trauzeuge für uns zu fungieren? Sie erteilen uns doch Ihren Segen, nicht wahr?" „Se-gen?"
Das Scheusal stieß den Begriff grunzend aus und schüttelte sich dabei.
Laeibe hob die Schultern. „Sie können ja ausführlich darüber nachdenken. Ich verlange nicht, daß Sie sich überstürzt entscheiden. Überhaupt, es wäre freundlich, wenn Sie sich jetzt einmal zurückziehen würden. Wir sehen uns später wieder. Ole und ich, wir wollen ein bißchen allein sein. Nicht wahr, Liebster?"
Ole Fjellstue gab einen schaurigen, grollenden Laut von sich. Ungelenk hob er die Knochenhände. „Laei - be. Laeibe… "
„Ich bin ja hier!" rief sie.
Plötzlich stellte sie fest, daß sich im Hintergrund noch mehr Gestalten bewegten. Sie ähnelten Ole und Gynt in Größe und Art wirklich täuschend.
Das blonde Mädchen runzelte die Stirn und versetzte ein wenig ärgerlich: „Aber, aber Ole! Ich habe es lieber, wenn wir bei gewissen Dingen intim bleiben."
„Intim", wiederholte der untote Wirt und ließ ein Lachen folgen, das direkt aus der Hölle zu kommen schien.
Laeibe musterte ihn verwundert; und sie bedachte auch die übrigen heranwankenden Gestalten mit argwöhnischen Blicken.
Ole kam ein Stück näher. „Laeibe, du mußt mir helfen."
Er artikulierte nun genauer, aber irgendwie hatte das Mädchen den Eindruck, er hatte Angst vor ihr. „Aber natürlich. Ich tue alles, was du willst", versicherte sie.
Sie hob die Rechte und streckte sie ihm entgegen, aber er hüpfte keuchend ein paar Schritte zurück. „Nicht! Tu das weg! Es tut weh!"
„Was denn nur?" Sie schaute sich bestürzt um, konnte aber nichts entdecken, was ihr gefährlich erschien.
Der Wirt Eike Gynt gab ihr jedoch knurrend die Antwort.
„Die Ha-Hand."
Laeibe betrachtete ihre bemalte Hand.
Ole sagte mit seiner furchtbar tiefen, entsetzlich grollende Stimme: „Weg - mit den Zeichen! Wisch sie ab! Und - und befreie deine linke Hand!"
Sie kicherte. „Himmel, wenn es weiter nichts ist!"
Daß alle beide und auch die im Hintergrund Befindlichen bei dem Ausdruck Himmel zusammenzuckten wie unter Geißelhieben, bemerkte sie nicht. Laeibe war bereits damit beschäftigt, an ihren Fesseln herumzunesteln. Sie war geschickt genug, um mit der rechten Hand den Knoten aufzuknüpfen. Binnen kurzer Zeit hatte sie die linke Hand befreit. Dann hob sie ein bißchen Schnee und Erde auf und wusch sich die magischen Symbole von der rechten Hand ab.
„Sehr - gut", äußerte der untote Gynt. „Junges Flei-Fleisch."
„Viel - Blut", sagte Ole Fjellstue.
Die übrigen Untoten stießen schaurige Laute aus und heulten: „Hunger, Hunger!"
Laeibe richtete sich auf. „Ich habe die Zeichnungen abgewischt und nun auch beide Arme frei, um dich zu empfangen, Liebster. Schick die anderen endlich fort und komm! Komm!"
„Es muß der richtige Weg sein", sagte Coco. „Weit kann der ungeweihte Friedhof nicht mehr entfernt
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