0941 - Das unheile London
mehr skurril. Allein der Name Arsenius hielt ihn bei der Stange - und das, was er aus Hogarth' Mund erfahren hatte.
Beides ergab zwar bislang kein stimmiges Bild, aber das war auch nicht weiter schwer, wenn man bedachte, was er von Tyler alles noch nicht erfahren hatte.
»Stammt der von Ihnen erwähnte Brief von Arsenius? Und heißt besagter Arsenius zufällig mit Nachnamen Hall ?«
»Ja! Nein… Doch! Nur… nicht immer.«
»Nicht immer?«
»Es gibt zwei Briefe. Obwohl es nur einer ist.«
Bevor er weiterstammeln konnte, wurde ihm jetzt doch der Hörer entrissen und eine aufgeweckter klingende, vor allem aber gefasstere Frauenstimme erklärte: »Okay, ich übernehme besser. Hier spricht Maya Tyler. Sie wissen schon, Sams Frau.«
»Hallo«, sagte Zamorra. Er fand, dass das genügte - und den Redefluss hoffentlich nicht wieder abbremste oder in ausschweifende Dinge abgleiten ließ, die mit dem eigentlichen Thema nicht viel zu tun hatten.
Glücklicherweise erwies sich Mrs. Tyler als sehr viel stringenter als ihr Gatte.
Innerhalb einer Minute war Zamorra über das Geschehen von vergangener Nacht im Hause Tyler aufgeklärt - und konnte sich nun auch einen Reim auf die »zwei Briefe« machen.
Auf seine Bitte hin hörte er ein Rascheln, und wenig später las Maya Tyler ihm den Inhalt des Schreibens vor, das ein gewisser Arsenius Hall an einen gewissen Twist gerichtet hatte.
Das klang alles sehr freundlich und mit keiner Silbe nach aktueller Gefahr.
Anders schien es sich jedoch mit der Version zu verhalten, die Maya Tyler ihm im Anschluss aus dem Gedächtnis rezitierte - wo sich jedes einzelne Wort offenbar unauslöschlich eingeprägt hatte.
»Das Ende ist nah«, wiederholte er schließlich beeindruckt. »Das Siegel bricht. Die Macht in der Tiefe…«
»Es scheint Ihnen etwas zu sagen.«
»Ja. Vor allem über Sie.«
»Und das wäre?«
»Dass ich Sie ernst zu nehmen habe.«
»Da bin ich aber froh.«
»Ich weiß nicht, ob dazu ein Anlass besteht.«
»Heißt das, wir… schweben in Gefahr?«
»So, wie Arsenius seine Nachricht an mich formuliert hat, betrifft das nicht nur Sie beide, sondern die ganze Stadt. Und möglicherweise habe ich auch schon erste Anhaltspunkte, dass es begonnen hat, um sich zu greifen.«
»Allmächtiger, wenn das so ist, was können wir tun?«
»Was ist mit Ihrem Mann und dem, was Sie erwähnt haben: dem brennenden Schmerz, den er heute Nacht fühlte, die seltsamen Linien auf seinem Gesicht?«
»Es war alles verschwunden heute Morgen. Sonst wäre ich bestimmt auch keine Brötchen holen gegangen, nachdem ich mir die Finger wund gewählt und den Mund fusselig telefoniert hatte.«
»Gut. Geben Sie mir Ihre genaue Adresse, ich fliege noch heute nach London und komme wahrscheinlich mit Laufe des Nachmittags oder Abends bei Ihnen vorbei. Ist das in Ordnung?«
»Machen Sie schnell. Ihre Worte und die Dringlichkeit, die Sie zum Ausdruck bringen, machen mir Angst!«
»Sie haben eine unruhige Nacht - und das dürfte wohl noch untertrieben sein - überstanden, Sie werden auch noch die nächsten Stunden schaffen. Sobald ich bei Ihnen bin, können wir uns über Einzelheiten und Maßnahmen unterhalten. Natürlich will ich wissen, woher Sie diesen Brief überhaupt haben. Aber das alles später.«
»Danke!«
***
Stunden später
Die Maschine landete pünktlich auf dem Flughafen Heathrow, und Zamorra passierte den Zoll mit der üblichen Verzögerung, nachdem manches seiner Mitbringsel überkritisch und mit einer gehörigen Portion Skepsis beäugt worden war.
In der Halle wartete bereits ein jugendlicher Trenchcoat-Träger, den Zamorra auf Anhieb wiedererkannte.
Paul Hogarth war vielleicht nicht der typischste Vertreter seiner Zunft, auch schon rein optisch nicht, aber bestimmt einer der fähigsten - und sympathischsten -, die Zamorra im Laufe der Zeit kennengelernt hatte.
Sie waren sich vor fast zwei Jahren im Zuge der Ereignisse um die Tate Gallery erstmals begegnet. Damals war Nicole noch an Zamorras Seite gewesen.
Die Erinnerung versetzte ihm einen Stich. Nein, eigentlich war es die aktuelle Situation, die ihm den Stich versetzte. Seit ihrer Trennung hatte er sie etwas aus den Augen verloren. Wo sie sich gegenwärtig aufhielt und ob sie gerade im Auftrag der deBlaussec-Stiftung und deren Chef Louis Landru unterwegs war, wusste er nicht. Aber - Hölle! - er vermisste sie.
Hogarth bemerkte nichts von Zamorras Zerrissenheit. Zuerst streckte er ihm nur die Hand entgegen, doch als Zamorra
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