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0941 - Das unheile London

0941 - Das unheile London

Titel: 0941 - Das unheile London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Adrian Doyle
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scheppernd um, als sich Ohne-Bein-Willis panisch vom Treppenloch entfernte. »Du Ratte!«, keuchte er. »Hat euch der Sensenmann jetzt auch erwischt? Der versteht wohl gar keinen Spaß! So eine Scheiße, ich würd dir die Pest an den Hals wünschen, wenn du sie nicht schon hättest!«
    »Warum so boshaft, Beinloser?«
    »Weil du mich früher hättest warnen müssen!«
    »Warum? Einer wie du müsste doch froh sein, wenn ihn der Schwarze endlich zu sich holt und erlöst.«
    »Dich kriegt er aber zuerst, Arschloch! Ich häng an meinem Leben. Krepier allein, Scheißkerl! Und ich dachte, wir wär'n Freunde…«
    » Freunde? « Shipley sprach das Wort aus wie den Namen, eines giftigen Insekts. »Ich hab mich immer vor dir geekelt. Wir, Paula und ich, fanden dich schon immer zum Abgewöhnen! Selbst mit Beulen und Auswurf sind wir weniger…«
    Der Amputierte ließ ihn nicht ausreden. Irgendwo schien er etwas zu fassen zu bekommen, jedenfalls wurde Shipley unversehens von einem Pflasterstein oder irgendetwas anderem Hartem, Schwerem am Kopf getroffen.
    Ein Zufallstreffer, aber für eine Weile war er völlig weggetreten.
    Als er wieder zu sich kam, hatte sich bereits ein Hauch von bleierner Helligkeit über die Gasse belegt, auf die er durch die Öffnung unter der Treppe schauen konnte.
    Shipley tastete nach seinem Schädel und fand die Stelle, wo die Haut über dem rechten Ohr aufgeplatzt war. Das inzwischen getrocknete Blut hatte das lange, fettige Haar verklebt und war noch den Hals abwärts über den Rücken gelaufen. Irgendwann musste sich die Wunde wieder verschlossen haben.
    Paula sah zu ihm auf.
    Sie lächelte. Und dieses Lächeln, das eigentlich ein Totengrinsen war, brachte Marvin Shipley mehr zum Schaudern als es ein Leichnam mit aufgeschlitztem Bauch und hervorquellendem Gedärm vermocht hätte.
    In der Nacht, kurz vor dem Auftauchen des Einbeinigen, hatte er Paulas Gesicht nicht sehen können und erst recht nicht die Augen.
    Sie waren immer das Schönste an ihr gewesen, und selbst jetzt… Er überlegte, ob er sie aus den Höhlen herausschneiden und aufbewahren sollte. Aber dann fiel ihm ein, dass er selbst nur noch Stunden oder wenige Tage zu leben hatte. Am besten er blieb hier und wartete, bis ihn das Feuer in seinen Adern und das Pochen in seinem Hirn endlich umbrachten und auf den Kahn setzten, der ihn über den Totenfluss an das Ufer brachte, wo Paula bereits auf ihn wartete.
    Natürlich dachte er bei Totenfluss an die Themse. Sie war furchtbar. Wie viele Menschen hatte sie schon umgebracht?
    Langsam streckte er den Kopf aus dem Loch. Vom Beinlosen war nichts zu sehen. Und abgesehen von fernem Wimmern wies auch nichts darauf hin, dass außer Shipley noch irgendjemand innerhalb der Stadtgrenzen am Leben war. Die Seuche hatte sich wie ein Gewicht auf alles gelegt. Selbst der König war davor geflohen. Seine Krone und Armee mochte ihn vor vielem schützen, aber nicht vor dem Dunklen Schnitter, der mit seiner Sense reichere Ernte hielt als jemals zuvor in Londons Geschichte.
    Shipley spuckte auf Eduard III. der seine Untertanen feige im Stich ließ. Aber Shipley spuckte auch auf jeden Kirchenmann, der so lange von seiner Kanzel herab gepredigt hatte, dass die Heimsuchung Londons Bürger bald verschonen und von Gottes Gnade davon gejagt würde. Die Pfaffen, die das gelogen hatten, waren längst selbst in irgendeinem Massengrab verschwunden. Und die Kirchen waren noch nie so leer gewesen, weil die letzten noch lebenden Prediger ihre Häuser verrammelten, damit ja nicht die Kranken und Sterbenden Obdach bei ihnen suchten. Die Angst vor der Seuche machte auch vor den Talar-Trägern nicht halt. Sie verkrochen sich, wenn sie nicht auch längst geflüchtet waren. Und die eine oder andere Kirche hatte schon gebrannt, weil sich der Volkszorn daran entladen hatte.
    Shipley schnitt eine Grimasse. Von irgendwoher klang das Geräusch eisenbeschlagener Räder auf, dazu Hufschlag; beides kam langsam näher. Marvin wusste, was es bedeutete. Die Pferdekarren zogen Tag für Tag durch die Straßen. Sträflinge in Ketten und mit ohnehin keiner Zukunft sammelten unter der Aufsicht von Wärtern die Leichen ein, die auf den Straßen verstreut lagen. Wenn ein Karren voll war, fuhr er an den Stadtrand, wo die Berge von Leichen in einem Loch verschwanden, das tiefer war als der Tower hoch. Shipley hatte es, als er noch gesund war, aus der Ferne mit Paula zusammen beobachtet. Sie waren beide entsetzt über die Verrohung gewesen, die aus

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