0946 - Angst um Lucy
Versprechen und zeigst dich? Ich warte. Ich habe dich doch lieb…«
Habe dich lieb! Dieser Satz war auch für Donna nicht zu überhören gewesen und brachte sie aus dem Konzept. Plötzlich bekam sie einen eisigen Schauer zu spüren, der sich wie ein Ring um ihren Hals legte. Wen hatte Lucy damit gemeint, oder wen konnte sie gemeint haben? Eigentlich nur den Schatten, der bisher einmal kurz aufgetaucht war. Eine andere Möglichkeit gab es für Donna nicht.
Konnte man einen Schatten lieben? Was war da alles nur geschehen? Wer hatte Lucy dies eingepflanzt? Donna Tarlington war überfordert. Sie kam damit nicht zurecht und fragte sich, wie Lucy ihr nur so etwas antun konnte.
Es war wieder da. Urplötzlich. Als hätte er sich über die Dachkante gestürzt, so fiel er von oben nach unten, aber er prallte nicht zu Boden, sondern blieb vor den Fenstern in der Luft stehen. Es war deutlich zu sehen, wie er seine Schwingen bewegte.
»Nein!« sagte Lucy. »Nein, du nicht…«
Der Schatten blieb.
Das Phantom ist da. Es ist zurückgekehrt. Die Sätze stachen durch den Kopf der Frau. Es war alles umsonst. Ich kann nichts tun. Ich kann Lucy nicht beschützen, weil ich mich nicht mal selbst bewegen kann. Aber ich muß zusehen, als wollte die andere Seite, daß ich eine besondere Folter erlebe.
Schatten kennen keine Hindernisse. Phantome ebenfalls nicht, und das gleiche wird auch für Vampir-Phantome gelten. Sie können das Mauerwerk durchdringen, es macht ihnen nichts aus, sie sind ja keine Menschen, die Körper haben.
Schatten sind dunkel, das Vampir-Phantom war es ebenfalls. Sehr finster, nicht hell.
Warum war es dann so hell?
Diese Helligkeit war so plötzlich gekommen, daß Donna davon überrascht worden war. Dieses seltsame Licht hatte nichts mit dem Schatten zu tun. Es zählte für sie auch nicht der Spruch Wo Licht ist, da ist auch Schatten, nein, hier war alles anders.
Das Licht war selbständig. Es leuchtete von innen. Es war wie eine Kugel aus dem Nichts heraus nach unten gefallen, und bei der zuschauenden Donna löste sich eine Sperre, die sie in den letzten Sekunden voll und ganz in ihrem Bann gehalten hatte.
Es ging ihr gut. Sie hatte Vertrauen, auch wenn sie das Licht nicht berühren konnte und es auch nicht dafür Sorge trug, daß sie aus ihrem Zustand befreit wurde.
»Da bist du ja endlich…« Lucy hatte gesprochen, und sie hatte nicht den Schatten gemeint, sondern das Licht zwischen Bett und Wand. Der Schatten hinter dem Fenster war sicherlich verschwunden, weil die andere Botschaft einfach zu schön und zu strahlend war und mit ihrer Aura das gesamte Schlafzimmer umflorte.
Donna Tarlington mußte plötzlich an einen Engel denken. Engel waren auch Lichtgestalten, das hatte sie schon immer gewußt, aber dieser Engel hier war etwas ganz Besonderes. Er hatte keine Gestalt, er war eben nur ein Fleck oder eine Kugel.
»Warum versteckst du dich denn? Komm doch! Ich will mit dir sprechen. Ich will dich sehen…« Lucy hatte das Licht gemeint. Sie verhielt sich zu ihm wie zu einem Menschen, und Donna Tarlington kam damit nicht zurecht. Hier war die Logik außer Kraft gesetzt worden. Eine andere Macht hatte die Kontrolle übernommen. Sie mochte vom Himmel gekommen sein, der sich ein Stück geöffnet hatte, weil er nicht mit ansehen konnte, wie Lucy unter dem Schatten litt.
»Er war bei mir. Ich habe ihn gespürt. Ich habe eine so schreckliche Angst gehabt. Ich sah ihn. Er war so dunkel. Er hat sein Versprechen gehalten, und er wird mich immer weiter verfolgen, bis er mich hat. Du weißt es, und du hast versprochen, mich zu schützen. Du hast es versprochen, nicht wahr?«
Lucy erhielt keine Antwort, Donna ebenfalls nicht, aber das Licht hatte schon verstanden, denn es veränderte sich, als wollte es die Bitte des Mädchens erfüllen.
An den Rändern breitete es sich aus, nur in der Mitte blieb dieses wundersame und auch wunderbare Strahlen zurück, das so großes Vertrauen einflößte.
Donna konnte nur schauen. Sie bewegte sich nicht. Lag im Bett wie eine Tote in ihrem Sarg und sah plötzlich aus dem Zentrum des Lichts eine Gestalt steigen.
Ein Kind? Eine Jugendliche?
Irgendwo dazwischen. Nicht jung, nicht alt, alterslos, aber von einer strahlenden Aura umgeben, als wäre es eine junge Heilige, die ihre Welt verlassen hatte.
Ein Engel, dachte Donna, es muß ein Engel sein. Gern hätte sie ihn angesprochen, was in ihrem Zustand nicht möglich war. Er blieb, er war völlig unnatürlich, und so konnte sie
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