Elurius (Vater der Engel) (German Edition)
------- TADEYA SLEYVORN -------
Das Pferd trug sie am vom eisigen Wind aufgewühlten Wasser entlang, durch den feuchten Sand des Strandes. Um die breiten Hufe spülten gurgelnd die Wellen. Tadeya hielt den Blick vom Wasser abgewandt, schaute zur Uferseite hin, die Finger in den wollenen Handschuhen hielten die Zügel. Die Hände waren trotz des Schutzes kalt, die Gelenke steif vom eisigen Wind. Schal und Wintermantel hielten die Kälte nicht von ihrem Körper, der Wind durchdrang sogar die dicke Wolle. Am dämmrig-grauen Himmel trieben zerfetzte Wolkengebilde, die Sonne stand fahl über dem Wasser.
Sie lenkte das schwere Kaltblut, ein Kutschpferd ihrer Großmutter, den sanften Hang zum Ufer hinauf. Dort im Schutz eines herabhängenden Felsens glaubte sie, die Schemen eines darunter kauernden, kleinen Hauses auszumachen. Die Tränen, die der eiskalte Wind in ihre Augen trieb, trübten den Blick. Sie musste blinzeln, um für einen kurzen Moment freie Sicht zu bekommen. Ja, es war keine Sinnestäuschung: Unauffällig, nahe an der Unsichtbarkeit, duckte sich eine graue Hütte unter dem schroffen Gestein. Die Hütte bildete eine Einheit mit dem Felsen und verschmolz fast mit ihm. Einen Moment lang kam es ihr in den Sinn, an die Tür zu klopfen und um Unterschlupf zu bitten. Der Sturm war überraschend hereingebrochen und die Kälte, die er mit sich brachte, war kaum mehr auszuhalten. Doch sie konnte weder Tür noch Fenster entdecken, obwohl sie sich in unmittelbarer Nähe der steinernen Behausung befand. Wohl befand sich der Eingang auf der Rückseite, den Felsen zugewandt.
Doch andererseits: Der größte Teil der Strecke lag bereits hinter ihr. Und wer wusste schon, auf welch merkwürdige Gestalten sie dort drinnen treffen würde? Das Pferd stapfte unverdrossen weiter und die Reiterin ließ das Steinhaus vorüberziehen. Die Hufe des großen, schwerfälligen Falben sackten bei jedem Schritt tief in den nassen Sand, ihm machte diese Erschwernis kaum etwas aus, denn er war stark und ausdauernd. Sein Gemüt glich dem Körper, zäh und unempfindlich.
Tadeya spürte eine plötzliche Unruhe, die von dem Pferd ausging. Durch den massigen Körper fuhr ein leichtes Beben, die Ohren bewegten sich unruhig wie Windspiele. Die stapfenden Schritte verlangsamten sich, der breite Kopf des Tieres neigte sich zur Seite. Die Reiterin richtete den Blick geradeaus, sie sah vor sich nur die graue Weite des Strandes, umspült von Gischt.
Dann ein plötzliches, grelles Leuchten, wie ein Blitzstrahl, direkt über ihr. Das Pferd blieb auf der Stelle stehen und stampfte spritzend mit den Vorderhufen im Schlick. Zu spät schloss sie geblendet die Augen, Lichtpunkte tanzten unter den Lidern. Der nachfolgende Donner blieb aus, um sie herum tobten Wind und Meer wie zuvor. Der Falbe stand wie ein starrer Fels, den Kopf gehoben, die Ohren gespitzt. Erst nach einigen Sekunden öffnete seine Reiterin die Augen und hob den Kopf. Es dauerte noch eine Weile, bis die grellen Lichtflecke auf ihrer Netzhaut zu tanzen aufhörten und die Welt um sie herum so deutlich wie zuvor zu erkennen war. Das Pferd löste sich langsam aus der Starre und zerrte am Zügel, seinen Willen bekundend, diesen Ort schnellstmöglich zu verlassen. Tadeyas Blicke jedoch schweiften umher, sie hielt die Zügel mit festem Griff. Rings um sie hatte sich nichts verändert: Grenzenlos grau war dieser Ort.
Sie wandte den Kopf. Ebenso grau, wie der darüber gebeugte schroffe Fels, lag das kleine Steinhaus hinter ihr. Und viele Meter darüber, oben auf den Felsen, stand eine dunkle Gestalt direkt am Rand der Klippen. Einzelheiten waren nicht zu erkennen, nur eine schwarze Kontur gegen den grauen Himmel. Das Pferd stampfte energisch auf und die Reiterin gab ihm endlich nach.
„ Sie ist nicht eben schön“, konnte Tadeya sich nicht verkneifen zu sagen, das fertige Bild betrachtend.
Jesco lachte leise. „Frau Neuberg ist reich, da muss man nicht zusätzlich noch schön sein.“
„Sie sieht aus wie jemand, der sich ständig mit seinem Leben herumärgert“, meinte Tadeya weiter. „Die böse, steile Falte auf der Stirn, die hängenden Mundwinkel...“. „Sie muss sehen, dass das viele Geld zusammenbleibt“ erwiderte Jesco. „Das ist eine schwere Aufgabe.“
Die feinen Pinselstriche betrachtend, die die winzigen, gekräuselten Haarsträhnen an der Schläfe perfekt simulierten, sagte Tadeya: „Aber es ist wirklich schön gemalt. Sie wirkt, als sei sie lebendig.“
In der
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