Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0949 - Die geronnene Zeit

0949 - Die geronnene Zeit

Titel: 0949 - Die geronnene Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Fröhlich
Vom Netzwerk:
er. »Obwohl ich mir selbst nicht sicher bin.«
    »Ha!«
    »Aber meine Theorie entspringt der Logik. Wenn der dunkle Teil der Erbfolgerseele noch existiert, dann gibt es vermutlich auch die Sha'ktanar-Seelen noch. Sie sind es wahrscheinlich, die das Dunkel daran hindern, sich auszubreiten.«
    Kesriel sah sich um. Dann schüttelte er den Kopf. »Und wo sind sie? Wenn wir das Überbleibsel der bösen Erbfolger sehen, müssten sich dann nicht auch die Reste der lichten Streiter irgendwo hier aufhalten?«
    Merlin lächelte. »Endlich stellst du die richtigen Fragen. Und du hast recht. Wenn meine Theorie stimmt, befinden sich die Sha'ktanar-Seelen tatsächlich ganz in der Nähe.«
    »Und wo?«
    Der Magier zeigte auf den gigantischen Tropfen. »Dort drinnen.«
    Erstaunen legte sich in Kesriels Miene. »Du meinst, das Dunkel umschließt die Seelen? Wie eine Frucht den Kern?«
    »So ist es. Aber noch ist es bloß eine Theorie. Und deshalb muss ich nachsehen. Mit deiner Hilfe.«
    Kesriel wich einen Schritt zurück. »Nein! Selbst wenn es möglich wäre, würde ich keinen Fuß hineinsetzen.«
    Er sah in den Himmel und beobachtete einen Schwarm Gelbdrosseln. Sie befanden sich hoch genug, um das Dunkel zu überfliegen. Dennoch teilte sich die Menge und flog links und rechts daran vorbei. Wie Wasser in einem Bach, das einen großen Stein umfließt. Keiner der Vögel wagte sich auch nur über das Phänomen.
    Und da sollte er sich hineinwagen ! Die Vorstellung war absurd.
    »Er hatte recht!« Merlins Gesicht strahlte eine plötzliche Freude aus, die Kesriel nicht nachvollziehen konnte.
    »Wer hatte recht?«
    »Es mag dich überraschen, aber auch ich diene einem höheren Herrn.«
    Kesriel winkte ab. »Dann soll der dich doch hineinführen.«
    »Das ist nicht sein Weg. Entweder schaffen wir es alleine oder gar nicht.«
    »Und womit soll er recht gehabt haben?«
    »Damit, dass dieses Phänomen eine große Anziehungskraft auf dich ausübt.«
    Die Worte trafen Kesriel wie ein Schlag. Woher wusste Merlin davon? Er antwortete nicht.
    »Deshalb willst du das Dunkel nicht betreten«, fuhr der Magier fort. »Du hast Angst, ihm zu verfallen. Dich darin zu verlieren. Wieder ein Diener des Bösen zu werden. Ist es nicht so?«
    Widerwillig nickte der Erbfolger. Den Blick hatte er zu Boden gerichtet.
    »Ich glaube, ich kann dich beruhigen, Kesriel. Wenn der, dem ich diene, recht hat, geht die Anziehungskraft nicht vom Dunkel aus, sondern von dem, was darin liegt.«
    »Von den Sha'ktanar-Seelen?«
    »Ja.«
    »Aber warum sollten die mich zu sich rufen?«
    »Das ist die Frage, nicht wahr? Was meinst du? Wollen wir hineingehen und nachsehen?«
    Kesriel musterte noch einmal das Dunkel, diesen gigantischen schwarzen Tropfen. Ihn zu umwandern hätte sicherlich Tage in Anspruch genommen. »Schaffst du es nicht ohne mich?«
    Merlin zögerte. »Ich weiß es nicht. Vielleicht. Ich könnte es mit meiner Magie versuchen. Aber warum sollte ich das Risiko eingehen, wenn es doch einen viel einfacheren Weg gibt? Dich! Das Dunkel ist Teil deiner früheren Seele, also ein Teil von dir selbst. Die Erbfolgermagie ist inzwischen in dir erwacht. Mit ihr müsste es dir möglich sein, ein Tor durch die Schwärze zu errichten.«
    Noch immer zögerte Kesriel. Doch dann sagte er: »Na schön. Lass es uns versuchen.«
    Schweigend legten sie den Rest der Strecke zurück. Mit jedem Schritt, den sie sich der wallenden Dunkelheit näherten, wuchs sie höher vor ihnen auf.
    Nach gut einer Stunde standen sie endlich direkt davor. Kesriel sah nach oben, doch von hier aus war keine Begrenzung des Dunkels zu erkennen. Es türmte sich auf wie eine flüssige Wand, wie eine gigantische Woge aus Teer, die in der Bewegung erstarrt war.
    Der Erbfolger korrigierte diesen Eindruck sofort wieder, denn die Schwärze war keineswegs regungslos. Sie befand sich in einem stetigen Fluss. Die Oberfläche kräuselte sich und warf sanfte Wellen, als hätte man einen Stein hineingeworfen. Nur breiteten sie sich nicht kreisförmig aus, sondern folgten keiner festgelegten Richtung.
    Merlin und Kesriel konnten sich wie in einem schwarzen Spiegel selbst erkennen, durch die ständige Bewegung zu bizarren Kreaturen verzerrt.
    »Was soll ich nun tun?«, fragte der Junge. »Einfach hineintauchen?«
    »Nein. Schließ die Augen. Erspüre die Magie, die in dir ruht. Stell dir vor, wie du das Dunkel betrittst. Wie es vor dir zurückweicht und ein Tor um dich bildet. Ja, genau so! Du hast es geschafft.«
    Kesriel

Weitere Kostenlose Bücher