0952 - Dr. Sensenmann
fließen. Er schluckte es. Der schlechte Geschmack und die Trockenheit aus seinem Mund verschwanden, das Wasser kühlte ihn auch und sorgte dafür, daß er sich erholte.
Mickey drehte das Wasser wieder ab. Mit dem rauhen Handtuchstoff trocknete er sich den Mund ab, bevor er wieder zu seinem Bett ging und sich dort niederließ.
Der Gefangene senkte den Kopf und stützte das Kinn gegen seine Handflächen. Er wollte nachdenken, sich vorstellen, wie der nächste Tag wohl aussehen könnte, aber es klappte nicht. In seinem Kopf befand sich eine Leere. Die Phantasie reichte nicht mehr aus, aber eines blieb zurück.
Die Angst vor der Zukunft!
***
Wenn mein Chef ein derartiges Gesicht aufgesetzt hatte wie an diesem Morgen, dann wußte ich, daß der Busch mal wieder brannte und er einen Feuerwehrmann brauchte.
»Setzen Sie sich, John.«
»Natürlich.«
Sir James lächelte. Wahrscheinlich ahnte er, daß ich schon einiges wußte, aber er hielt sich noch zurück und sprach vom Wetter, das sich in den letzten Tagen stabilisiert hatte, so daß man von einem schönen Winter sprechen konnte. Zwar leicht neblig, ansonsten aber sonnig, auch wenn die riesige Scheibe nur blaß wirkte.
»Ja, Sir, es läßt sich aushalten.«
»Da macht es keinen Spaß mehr, im Büro zu bleiben.«
»Nicht so sehr, aber man kann sich daran gewöhnen.« Ich hatte ihm diese doppeldeutige Antwort bewußt gegeben, und Sir James zeigte mir durch sein Lächeln, daß er sie auch begriffen hatte. Er nahm dann einen Bleistift hoch - wieder eine seiner typischen Bewegungen - und hatte die Stirn in Falten gelegt. Ich wußte, daß er sich dem Kernpunkt nähern würde, fragte allerdings selbst nicht nach.
»Es kommt ja nicht oft vor, daß ich Sie um einen persönlichen Gefallen bitte, John, aber in diesem Fall möchte ich das tun.«
»Das wußte ich.«
»Ja.« Er griente. »Wir kennen uns.«
»Schon Jahre, Sir.«
»Richtig. Da Sie mir dieses Stichwort gegeben haben, möchte ich auch gleich zum Thema kommen und ihnen erklären, weshalb ich sie ausgesucht habe. Es geht um einen Mann, der Mickey Ferrano heißt.«
»Ist mir unbekannt, Sir.«
»Habe ich mir gedacht.« Er räusperte sich. Die Worte hatte er sich bereits zurechtgelegt und fing damit an, daß er vor einigen Tagen auf einer Feier gewesen war. »Wissen Sie, das war wieder einer dieser Empfänge, denen ich nicht ausweichen konnte, wo man eigentlich immer dieselben Leute trifft, aber hin und wieder auch ein paar neue Gesichter sieht. Ich hatte das Glück oder das Pech, einen Mann kennenzulernen, der sich als Ellis McTuff vorstellte.«
»Ist mir ebenfalls unbekannt, dieser Mensch, Sir.«
»Glaube ich Ihnen, denn was sollten Sie auch mit einem Zuchthausdirektor zu tun haben?«
Ich lächelte. »Jetzt kommen wir der Sache schon näher.«
»Stimmt.«
»Er hat Sie um Hilfe gebeten, Sir.«
»Nein, nicht direkt. Er hat mir von einem Menschen erzählt, der bald entlassen wird. Von einem Mörder, der sieben Jahre Knast hinter sich hat. Man hat ihm keinen Tag geschenkt, denn die Strafe war nicht nur für McTuff sehr gering.«
»Weshalb saß der Mann?«
»Mord!«
»Und dann nur sieben Jahre? Wen hat er umgebracht?«
»Einen Arzt!«
»Und weiter?«
Sir James wiegte den Kopf. »Auch wenn es vielleicht schwerfällt, so sollten wir diese zurückliegende Tat erst einmal vergessen und uns mit der Gegenwart beschäftigten. Dieser Mickey Ferrano, der morgen früh entlassen wird, litt unter einer großen Angst, unter einer Phobie. Über dieses Problem hat er auch mit dem Direktor gesprochen, aber bevor Sie abwinken, John, es handelt sich dabei nicht um eine Knast-Phobie, sondern um etwas, mit dem der Mann nicht zurechtkam. Dieser Gefangene sprach von einem Geist oder einem Monstrum, das ihn verfolgte. Von einem Skelett im Kittel, das als Geist in seine Zelle eindringt und ihm seelische Qualen zufügt.«
»Bitte?«
»Soll ich es wirklich wiederholen, John?«
»Nein, entschuldigen Sie, Sir. Aber ich wundere mich darüber, daß Sie auf diese Hirngespinste angesprungen sind.«
Er blickte mich für einen Moment an. »Hirngespinste? Vielleicht sind es keine Hirngespinste.«
»Dann wissen Sie mehr als ich.«
»Dieser Zuchthausdirektor war davon überzeugt, daß mehr hinter diesen Hirngespinsten stecken könnte. Und er ist nicht der einzige, an den sich der Gefangene gewandt hat. Ferrano hat auch mit dem Gefängnis-Psychologen gesprochen, der sich zunächst keinen Reim auf die Erzählungen machen konnte
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