0952 - Dr. Sensenmann
Zeit nicht mit.
Jedenfalls spürte ich den Aufprall und den Druck an meiner linken Hand.
Aber ich merkte auch, daß die verdammte Spitze nicht in der Haut oder den Handballen hineinstach. Sie traf statt dessen auf ein Hindernis, dessen Kraft wie ein gewaltiger Rückstoß wirkte, der Dr. Sensenmann voll erwischte.
Halb saß ich, halb kniete ich, starrte nach vorn und entdeckte die zuckende Gestalt.
Die Spitze der Nadel hatte den Kontakt mit dem Kreuz bekommen und ihn weitergeleitet. Sie war genau in das Zentrum des Kreuzes hineingefahren, wo sich die beiden Balken trafen, und sie steckte dort tatsächlich fest, als wäre das Metall nur eine weiche Masse.
Das Gerippe wollte oder konnte nicht loslassen. Es tobte, es schrie möglicherweise auch, was ich aber nicht mitbekam. Dafür hing es an meinem Kreuz an der Nadel fest wie ein Gehängter am Galgen. Ich hörte schrille Geräusche um mich herum, aber ich sah auch das Licht, das diese Gestalt einhüllte.
Eine blendende Wolke, in der noch Blitze aufzuckten.
Etwas brannte, aber ich spürte keine Wärme, denn das Feuer war magischer Art. Vielleicht hatte es sich auch nicht in unserer Welt entzündet, sondern mehr in dem Zwischenreich, in das die Stahlen meines Kreuzes gejagt waren.
Wie auch immer. Mein Feind, Dr. Sensenmann, schaffte es nicht. Er stemmte sich zwar gegen die Kraft an, aber er konnte einfach nicht gewinnen. Das Licht war stärker und auch zerstörerischer. Es drang in seine Gestalt, und nicht nur die Kleidung stand in Flammen, auch die Knochen des Gerippes zerstrahlten.
Zugleich entstand ein Sog, den ich nicht mitbekam, der jedoch eine andere Gestalt hervorholte.
Von irgendwoher war Mickey Ferrano wieder in den sichtbaren Bereich hineingeraten, und das im Licht brennende Skelett zog ihn an wie ein Magnet das Eisen.
Es gab keine Chance mehr für beide, denn sie verschmolzen im Licht miteinander. Plötzlich waren sie auch für mich nicht mehr zu unterscheiden. Sie drehten sich um die eigene Achse, sie waren ineinander verklumpt, und sie brannten aus.
Wahnsinn!
Ich schaute gebannt zu. Beide Gestalten hatten längst eine andere Form bekommen. Unterschiede gab es nicht. Was sich da im gleißenden Licht drehte und bewegte, war zu einer grellen Kugel geworden, die letztendlich mit einem gewaltigen Zischen verdampfte.
In diesem Augenblick fiel auch das Licht zusammen. Die Strahlen kehrten aus dieser anderen Welt zurück, wie mir schien. Ich hielt das Kreuz in der Hand und war verdammt froh, daß ich es besaß…
***
Wenig später half ich Dr. Margot Fillmore auf die Beine. Sie konnte stehen, auch wenn sie damit Mühe hatte, aber sie hielt sich auf den Füßen.
Als ich sie abstützen wollte, zuckte sie zusammen.
»Was ist?«
»Nicht schlimm. Die Wunde, der Einstich.«
Den hatte sie zurückbehalten, nur eine schmale Erinnerung an das Grauen. Viel wichtiger war, daß sie lebte, und sie erzählte mir, als wir draußen im Gang auf einer- Bank saßen, daß etwas aus ihrem Körper hinausgedrängt worden war wie eine Schlange. »Es passierte, als das grelle. Licht leuchtete«, fügte sie noch hinzu. Dann lehnte sie sich gegen mich und fragte: »Was ist das nur gewesen, Mr. Sinclair? Was, zum Henker?«
»Ein Phänomen, Mrs. Fillmore.«
Ihr Lachen auf meine Antwort klang etwas bitter. »Ich weiß nicht, ob man es so sehen kann.«
»Warum nicht?«
»Nun…« Sie zögerte etwas. »Phänomene kann man nicht erklären.«
»Stimmt«, gab ich lächelnd zurück. »Können Sie dieses Phänomen denn erklären?«
»Nein.«
»Sehen Sie.«
»Ich nicht, Mr. Sinclair, aber Sie?«
Von der Seite her schaute ich sie schon böse an. »Da liegen Sie aber falsch. Ich kann es mir auch nicht erklären. Nehmen wir es hin, wie wir es gesehen haben. Als ein Phänomen.«
Sie nickte. »Wenn es uns dann bessergeht, okay.«
Es ging uns besser, davon war ich überzeugt. Ich war mehr als froh darüber, daß dieses verdammte Serum im strahlenden Licht meines Kreuzes ebenfalls vergangen war. Hoffentlich gab es in der nahen Zukunft keinen mehr, der sich mit derartig gefährlichen Experimenten beschäftigte…
ENDE
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