0952 - Dr. Sensenmann
Er wollte keinen der Insassen mehr sehen, keinen Wärter, niemanden. Er hatte sowieso als Einzelgänger gegolten, und dieser Ruf sollte auch am letzten Tag keine Kratzer bekommen.
Ein Kalfaktor und ein Wärter erwarteten ihn hinter dem Tresen, wo er seine Sachen hingestellt bekam, sie überprüfen und quittieren mußte.
Ihm wurde auch Geld ausgezahlt. Es waren ein paar Hundert Pfund, damit konnte er zunächst überleben. Wie es weiterging, würde man noch sehen. Gewisse Namen hatten auch die langen Jahre nicht aus seinem Gedächtnis entfernen können.
Der Kalfaktor grinste ihn an. »Ich habe noch drei Jahre abzusitzen, dann bin ich auch frei.«
»Dein Problem. Wo kann ich mich umziehen?«
»Da hinten.«
Damit war der Raum hinter einem offenen Vorhang gemeint, den Ferrano betrat.
Als er sich umzog, wollte er nicht unbedingt beobachtet werden, und deshalb zog er den Vorhang zu.
Die Kleidung befand sich im Koffer. Sie stank muffig und nach Mottenpulver. Darin unterschied sie sich in nichts von dem übrigen Geruch in seiner Nähe.
Ferrano streifte die blaue Jeans über, das Hemd mit dem unmodernen Kragen. Der Pullover folgte, danach schlüpfte er in seine Schuhe, die noch gut paßten, ebenso wie die übrige Kleidung. Nur die rotbraune Lederjacke war ihm ein wenig eng geworden, aber das störte ihn nicht weiter. Er hätte sie sich gern gefüttert gewünscht.
Spencer hatte auf ihn gewartet und sich mit seinem Kollegen unterhalten. Als er Ferrano hinter dem Vorhang hervortreten sah, winkte er ihm zu.
»Jetzt gehen wir noch einmal hoch zu McTuff.« Spencer schaute Mickey an wie einen Fremden.
»Was ist los? Habe ich was an mir?«
»Nein, das nicht. Du siehst nur so anders aus in den Klamotten.«
»Das andere Zeug habe ich hassen gelernt.«
»Kann ich sogar verstehen.«
Sie verließen den Zellenbereich und schritten hinein in den Flur des Verwaltungstraktes. Sie stiegen die breite Treppe bis zum ersten Stock hoch, wo die Tür des Vorzimmers nicht geschlossen war, so daß beide hineingehen konnten.
Normalerweise hockte dort eine Sekretärin, an diesem Tag aber war sie nicht da. Dafür erschien Ellis McTuff durch eine Seitentür. »Ich bin heute allein. Meine Mitarbeiterin hat sich das Bein gebrochen. Glatteis vor der Haustür. Das kann passieren. Kommen Sie, Mr. Ferrano. Sie, Spencer, brauche ich nicht mehr.«
»Gut, Sir.«
Nach einem abschiednehmenden Grinsen zog sich der Bedienstete zurück.
Mickey Ferrano wurde in das nüchtern eingerichtete Büro des Verwaltungsmenschen geführt und durfte sich setzen. Der Direktor hatte hinter seinem Schreibtisch Platz genommen und lächelte vor sich hin. »Sie sind ja nun ein freier Mann, Mr. Ferrano, doch ich hoffe, daß Sie mir einige Minuten Ihrer freien Zeit gönnen.«
»Ich habe nichts zu versäumen.«
»Gut, schön.«
»Um was geht es?«
McTuff gehörte zu den kleinen Menschen. Zwar war er kein Zwerg, aber wie er in seinem Sessel hockte, sah er schon etwas lächerlich aus mit dem großen, leicht eckigen Kopf. Beim Sprechen bewegte er die dünnen Lippen kaum, und er schien doch nervös zu sein, denn seine Hände rutschten auf dem Schreibtisch hin und her. »Sie waren ja zweimal bei mir und haben mir von Ihren Erlebnissen berichtet.« Da McTuff keine Antwort bekam, sprach er weiter. »Nun ja, Sie können sich vorstellen, daß es schwer zu glauben ist, aber ich will und wollte Ihnen kein Unrecht tun und habe mit einem Bekannten über Ihren Fall gesprochen. Ob etwas dabei herausgekommen ist, weiß ich nicht. Dieser Bekannte hat zumindest nichts von sich hören lassen.«
»Was war das für ein Mann«
»Ein hochrangiger Polizist.«
»Verdammt, ein Bulle?«
»Nicht in dem Sinne, sondern jemand, der wirklich etwas zu sagen hat.«
»Was hat er Ihnen gesagt?«
»Nichts.«
»Wie nett.«
»Er wird mir nicht geglaubt haben.«
»Haben Sie mir denn geglaubt?«
McTuff hob die Schultern. »Wenn ich ehrlich sein soll, auch nicht. Ich denke noch immer, daß es sich dabei um einen Zellenkoller handelt. Aber Sie sind ja jetzt frei und werden sicherlich ein neues Leben beginnen. Ich kenne Ihre Akte, Mr. Ferrano, ich weiß, daß einiges unklar geblieben ist, aber ich möchte Sie davor warnen, jetzt loszugehen und alte Rechnungen zu begleichen, die noch offenstehen. Vergessen Sie, was gewesen ist. Fangen Sie, wie man so schön sagt, ein neues Leben an. Es wird Ihnen gut bekommen.«
Ellis McTuff redete noch weiter, nur bemerkte er nicht, daß Ferrano seine Ohren auf
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