0955 - Der Gruftie
Das schon eher, aber Quenton konnte nicht begreifen, daß auf einem Skelett, einem Knochenkörper, ein ganz normaler menschlicher Schädel saß, als wäre dieser einer Verwesung entgangen. Diese unheimliche Gestalt kümmerte sich um nichts. Weder um den geparkten Wagen mit Casey Quenton darin, noch um die Laterne, die ihren Lichtschein über einen Teil des Gehsteiges ebenso streute wie über die Straße. Und dem Unheimlichen machte es auch nichts aus, diesen Schein zu durchqueren.
Deshalb konnte ihn Casey auch so gut sehen.
Der Knöcherne mit dem Menschenkopf ging keinen Schritt schneller, doch Quenton kam es so vor, als würde er hinweghuschen. Vielleicht war er in seinem Kopf schon zu durcheinander, er glaubte auch, das Klappern der alten Knochen zu hören, die im Licht der Laterne schmutzigbraun geschimmert hatten.
Jedenfalls hatte die Gestalt die andere Straßenseite erreicht und war dort in die Dunkelheit der Nacht getaucht, denn an der Stelle gab es kein Licht, nur die hohe Mauer, die ein Grundstück umfriedete, auf dem auch zahlreiche Bäume standen, die zu dieser Jahreszeit wie frostkalte Geister aussahen.
Casey Quenton wischte über seine Augen. Es war verschwunden, ab- oder untergetaucht. Er hatte es aber gesehen. Mit den eigenen Augen wahrgenommen. Oder hatte er sich geirrt?
Der Detektiv wußte gar nichts mehr. Im Wagen war es bestimmt nicht warm, doch in den letzten Sekunden hatte er eine Hitzewelle mitbekommen, begleitet von Schweißausbrüchen. So etwas hätte er sich vor einer Stunde noch nicht vorstellen können, und jetzt verfluchte er es, den Job angenommen zu haben.
Aber was tat man nicht alles für eine Kollegin, die einem einen Auftrag verschaffte? Außerdem war ex ziemlich pleite gewesen, und der Vorschuß hatte ihm gutgetan.
Er blies die Luft aus, hustete, zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch gegen die Scheibe, wo er sich wolkenartig verteilte. Der Glimmstengel zitterte in seiner Hand. Klar, das hier war verflucht echt gewesen. Reine Nervensache, es zu übersehen. Casey hoffte nur, daß diese Gestalt ihn trotzdem nicht entdeckt hatte. Dann würde sie zurückkehren und ihn holen.
Bei diesem Gedanken drehte er sich um, aber auch hinter dem Fahrzeug war nichts zu sehen.
Er nahm wieder seine normale Sitzhaltung ein. Asche fiel auf seine graue Jeans, was ihn nicht weiter störte. Er griff nach links auf den Nebensitz, wo das Sprechgerät mit ausgefahrener Antenne lag.
In den nächsten Sekunden hatte er die Verbindung zu seiner Kollegin Jane Collins hergestellt.
»Was ist denn, Casey?«
»Das fragst du?«
»Ja, du hörst dich an, als hättest du den Horror deines Lebens hinter dir.«
»Habe ich auch!«
»Dann berichte.«
»Hör zu, Jane. Ich weiß ja, daß du eine komische Frau bist, wie auch immer. Man erzählt sich ja einiges über dich in der Branche. Aber was ich hier gesehen habe, das ist dir bestimmt noch nicht vorgekommen, glaube ich zumindest.«
»Sag schon!«
Casey Quenton holte noch zweimal Luft, bevor es aus ihm herausbrach. »Vor mir ging ein Skelett mit menschlichem Kopf über die Straße. Ich konnte es genau sehen, weil es auch den Schein einer Laterne durchschritt. Das ist es, Jane!«
Sie schwieg, was Casey nicht gefiel. »He, warum redest du nicht? Hat es dir die Sprache verschlagen? Hältst du mich für einen alten Trottel?«
»Das sicherlich nicht.«
»Dann sag was.«
»Ich denke nur nach.«
»Haaa!« brüllte Quenton in den flachen Apparat. »Sie denkt nach. Scheiße, da gibt es nichts zum Nachdenken, Kollegin. Ich habe den Burschen gesehen, verflucht!«
Jane blieb gelassen. »Wie sah er denn aus?«
»Beschissen ist noch geprahlt.«
»Meine Güte, stell dich nicht so an. - Genauer. Ich will eine exakte Beschreibung haben.«
»Es war ein Skelett mit einem menschlichen Kopf. Kein junger Knabe mehr, schon älter, eher ein Gruftie. Hä, hä, Gruftie ist gut. Der schien direkt aus dem Grab oder einer Gruft gekommen zu sein.«
»Gut. Und wo ging er hin?«
»Auf die andere Straßenseite.«
»Hat er dich gesehen?«
»Das will ich nicht hoffen«, stöhnte Casey. »Dann hätte ich aber böse aus der Wäsche geschaut.«
»Kann ich mir denken. Aber wo genau ist er hingegangen?«
»Das habe ich nicht mehr gesehen, verflucht! Der war einfach weg. In der Dunkelheit ist er - na ja, was soll ich sagen? Ich bin jedenfalls nicht ausgestiegen und habe es verfolgt. Ich war froh, noch zu leben und rief dich an.«
»Das war gut, Casey.«
»Warum das
Weitere Kostenlose Bücher