096 - Die Gräfin von Ascot
gewisse Kreise der Gesellschaft hatten ihn sogar berühmt gemacht. John sprach mit ihm darüber. Der Pater verzog das Gesicht und lachte dann schalkhaft. »In dieser Welt des Scheins und Trugs fällt ein Mann auf, der es offen und ehrlich meint. Aber bevor ich weiter mit Ihnen rede, Mr. Morlay, möchte ich Ihnen erklären, daß ich nicht in einer Angelegenheit meines Ordens zu Ihnen gekommen bin, sondern in einer rein persönlichen Sache. Ich unterhielt mich gestern mit einem Bekannten, und der sagte mir, daß ich mich an Sie wenden sollte, da Sie mir sicher den besten Rat geben könnten.«
»Ich habe niemals erwartet, einen Franziskaner unter meinen Kunden zu finden«, sagte John lächelnd.
Einen Augenblick schwieg der Pater, dann stellte er eine Frage, die John Morlay aufs höchste überraschte. »Kennen Sie die Gräfin Marie Fioli?« »Ja, sogar sehr gut.«
»Kennen Sie auch Mrs. Carawood, ihre Erzieherin?« John nickte und wunderte sich noch mehr. Pater Benito dachte eine Weile nach.
»Es handelt sich um eine sehr diskrete Angelegenheit. Ich stehe zwar in der Welt, gehöre ihr aber nicht an. Dinge, die für einen gewöhnlichen Menschen von höchster Wichtigkeit sind, haben für mich kein Interesse. Trotzdem entbinden mich meine kirchlichen Gelübde nicht von gewissen Verpflichtungen der Gesellschaft gegenüber. Ich bin besorgt, ja ich möchte sagen bestürzt, und zwar mehr, als ich es für möglich hielt.« »Bezieht sich das auf die Gräfin?«
»Ja, in gewisser Weise«, entgegnete Pater Benito nach einer kurzen Pause und erzählte dann John Morlay eine längere Geschichte, die diesen maßlos verblüffte, ja erschreckte. »Ist das Ihr Ernst?« Pater Benito nickte.
»Es klingt unmöglich! Und doch muß ich Ihnen die Geschichte glauben.« Pater Benito setzte sich nun doch und sprach eine halbe Stunde lang auf John Morlay ein. Schließlich war die Unterredung zu Ende, und John begleitete seinen Besucher bis zur Tür.
»Ich lege die Untersuchung der Angelegenheit vollkommen in Ihre Hände«, sagte der Pater, als er sich verabschiedete. »Und ich bin froh, daß ich es Ihnen gesagt habe, um so mehr, als ich fühle, daß die Interessen des jungen Mädchens in jeder Weise von Ihnen gewahrt werden. Das wäre nämlich meine größte Sorge.«
Den ganzen Nachmittag dachte John Morlay über das neue Problem nach. Endlich kam er zu dem Entschluß, Marie unter allen Umständen zu retten, was auch sonst geschehen mochte.
Er war noch tief in Gedanken versunken, als das Telefon klingelte und eine muntere Stimme ihn anrief.
»Nun, mein lieber Schutzengel? Ich möchte Sie bitten, mich zum Tee einzuladen.«
Er eilte die Treppe hinunter, um ihrer Aufforderung zu folgen.
18
Mr. Fenner fühlte sich nicht recht wohl. Eines Nachmittags sprach er in dem Laden in der Penton Street vor und erzählte, daß es seinem Arbeitsherrn nicht gut gehe. In den letzten Tagen waren die Kräfte des Mannes mehr und mehr geschwunden, aber trotzdem besaß er noch einen gewaltigen Lebenswillen und verhältnismäßig viel Ausdauer und Kraft.
»Alles im Leben erreicht seinen Höhepunkt und kommt zu einem Ende«, erklärte Mr. Fenner düster. »Wenn der alte Mann stirbt, muß ich mir eine neue Stelle suchen. Ich könnte es nicht übers Herz bringen, länger in dem Geschäft zu arbeiten, wenn er das Zeitliche segnet. Das Leben ist augenblicklich sehr hart für mich, Herman«, sagte er und nahm auf einem Stuhl Platz.
»Hier haben Sie ein Kissen, dann sitzen Sie weicher«, erwiderte der junge Mann, der Mitleid mit ihm hatte.
Mr. Fenner betrachtete sich in dem großen Spiegel, dem er gegenübersaß.
»Herman, halten Sie mich eigentlich für einen hübschen Mann?« fragte er dann nachdenklich.
»Ich soll Ihr Aussehen beurteilen?« erwiderte Herman skeptisch. » Ja, Sie sollen mir sagen, ob ich noch gut aussehe.« Herman sah ihn kritisch von der Seite an. »Wollen Sie mich etwa auf den Arm nehmen?«
»Nein, ich frage ganz im Ernst«, entgegnete Fenner mit rauher Stimme. Herman schüttelte den Kopf.
»Ich weiß nicht, aber ich habe niemals gefunden, daß Sie so besonders gut aussehen - ich meine vor allem Ihr Gesicht.«
»Nun, darauf kommt es gerade an«, entgegnete Fenner kurz und ärgerlich. »Würden Sie dann vielleicht sagen«, fuhr er jedoch in sanfterem Ton fort, »daß ich intelligent aussehe?« »Was ist das?« fragte Herman. »Sehe ich so aus, als ob ich sehr klug wäre?«
Herman wußte sich nicht recht zu helfen. Er sagte schließlich,
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