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0964 - Blutfehde

0964 - Blutfehde

Titel: 0964 - Blutfehde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Breuer
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er die Zähne und hob den Arm der Toten an seine Lippen.
    Während ihm noch das Wasser im Mund zusammenlief, vernahm er hinter sich ein leises Quietschen. Erschrocken ließ Harry das Mädchen los und fuhr herum.
    Ein amüsiert wirkender Mann lehnte im Türrahmen. Er schien Mitte zwanzig zu sein und hatte das dunkle lange Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.
    »Hallo Harry«, begrüßte er den Ghoul mit vorgetäuschter Freundlichkeit. Beiläufig musterte er den Körper der Toten. »Ich störe dich ja nur ungern beim Essen, aber ich glaube, wir sollten uns einmal unterhalten. Komm mit!«
    Harry spürte, wie ihm eiskalt wurde. Natürlich kannte er den jungen Mann, der ihn so eingehend musterte. Es handelte sich um den Sohn des Patriarchen der hiesigen Werdingos. Paul LaGrange war sein Name und er war dafür bekannt, seinem Vater treu zu dienen.
    Der Ghoul schluckte schwer. »Worum geht es denn?«, fragte er, um Zeit zu schinden. Er hatte natürlich schon eine grobe Ahnung, was man von ihm wollte, aber dass musste er dem Anderen ja nicht auf die Nase binden.
    Paul LaGrange betrachtete geistesabwesend seine Fingernägel. »Ich denke, das weißt du ganz gut. Wir wissen, dass du große Ohren hast, Harry. Wenn irgendetwas in dieser Stadt vorgeht, bist du darüber meistens auf dem Laufenden.«
    LaGranges Augen wurden schmal. »Und in dieser Stadt geht etwas vor«, stellte er fest. »Das wissen wir! Du hättest nicht soviel schwatzen sollen.«
    Er wollte fortfahren, doch in diesem Moment brach Harry aus. Schneller, als man es dem kleinen Ghoul zugetraut hätte, rannte er los und versuchte, sich an LaGrange vorbei durch den Türrahmen zu zwängen. Dieser ließ ihn schmunzelnd passieren.
    Einen Moment später wusste Harry auch, weshalb.
    Auf dem Flur hielten sich drei weitere Werdingos auf. Sie hatten ihre menschliche Gestalt abgelegt und musterten den Ghoul mit funkelnden Augen. Wie vom Schlag getroffen blieb Harry stehen. Er erkannte, dass er keine Chance hatte, als sich LaGranges Hand stahlhart um seinen Nacken legte.
    »Nicht so schnell mit den jungen Pferden, Harry!«
    Tadelnd schüttelte der Werdingo den Kopf. »Wenn ich sage, du sollst mit uns kommen, dann ist das keine Einladung zum Kaffeekränzchen, sondern ein Befehl. Verstanden?«
    Harry nickte langsam. Er verwandelte sich wieder in einen Menschen.
    »Dann vorwärts!«
    LaGrange stieß ihm in den Rücken und gehorsam setzte sich der Ghoul in Bewegung. Man führte ihn hinaus auf die Straße, wo man ihn in einen kleinen Transporter mit getönten Scheiben verfrachtete. Harry hatte bereits eine grobe Ahnung, wohin die Reise ging und war von daher nicht sonderlich überrascht, als das Fahrzeug die City verließ.
    Etwa fünfundzwanzig Kilometer außerhalb von Newcastle lag das Anwesen der LaGrange-Familie. Das Gelände war durch hohe Mauern von der Außenwelt abgeschirmt, damit sich kein Sterblicher herverirrte und den Geheimnissen des Clans auf die Schliche kam. Harry musterte das Herrenhaus durch die Fensterscheibe. Beim Anblick des alten Gemäuers fröstelte er unwillkürlich.
    Er hatte das ungute Gefühl, dass er diesen Ort nicht mehr lebend verlassen würde.
    ***
    »Wir haben ihn, Vater!«
    Edward LaGrange ließ die Worte seines Sohnes einen Moment lang in sein Bewusstsein einsickern, dann wandte er sich langsam um. Er stand hinter dem großen Schreibtisch im Salon. Bis jetzt hatte er regungslos am Fenster gestanden und in den frühen Abend hinausgeblickt. Der Sonnenuntergang tauchte den Himmel in einen blutroten Dämmerschein, bei dessen Anblick LaGrange abermals an die Mordserie denken musste, die zurzeit ganz Newcastle in Atem hielt. Genau genommen dachte er seit Tagen an nichts anderes mehr.
    »Sehr schön«, antwortete der alte Patriarch mit einem Moment Verspätung. Seine eindrucksvolle Gestalt straffte sich. Er war etwa zwei Meter groß und kahlköpfig. Die dichten grauen Brauen verliehen seinem Gesicht etwas Animalisches. »Wo ist er?«
    »Wir haben ihn gleich in den Keller gebracht. Möchtest du dabei sein, wenn wir ihn verhören?«
    Edward LaGrange wusste, dass er die Angelegenheit getrost in die Hände seines Sohnes hätte legen können, dennoch nickte er. »Ja«, antwortete er. »Ich bin sehr gespannt, was er zu erzählen hat. Komm, Junge, verlieren wir keine Zeit!«
    Gemeinsam verließen die beiden Männer den Salon und begaben sich in die Eingangshalle des Herrenhauses. Von hier aus führte eine gewundene Treppe in das verwinkelte Kellergeschoss.

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