0974 - Monsterzeit
für immer einen Tritt gegeben, aber das war noch zu früh.
Jedenfalls stehe ich, dachte sie, und falle auch nicht um. Rosenrot lächelte. Sie schaute zu Boden, entdeckte kein Hindernis und ging einfach los.
Sie lief wie ein normaler Mensch. Sie brauchte keine Übungsschritte, sondern konnte gehen wie jemand, der sich nach wenigen Minuten von einem Stuhl erhoben hatte.
Durch die Lücke zwischen den beiden Grabsteinen schritt sie her. Dabei spürte sie schon das Brodeln in der Tiefe des Erdreichs.
Ja, sie waren da.
Sie warteten auf ihre Freundin.
Perry Cameron würde sich wundern…
***
Der Killer konnte sich nicht daran erinnern, sich je so unwohl in seiner Haut gefühlt zu haben wie in diesem verfluchten Wald, mit dem er nicht zurechtkam. Der Eindruck, sein Gefangener zu ein, verdichtete sich immer mehr, und er sah auch keine Chance, den Wald aus eigener Kraft zuverlassen.
Gut, er hätte den Weg zurücklaufen können, die Richtung war schon klar, aber er dachte wieder an die letzte Nacht, wo ihn der Wald gequält, malträtiert und gefoltert hatte und er ihm nur mit allergrößter Mühe und durch Gretas Hilfe entkommen war.
Nur zählte er sie nicht zu seinen Freunden. Sie stand auf der anderen Seite, ihre Loyalität war eigentlich nur Schein. Jetzt mußte er sich die Frage stellen, weshalb er überhaupt mit ihr in diesem verdammten Wald hineingefahren war. Es ergab für ihn keinen Sinn. Es wäre viel besser gewesen, im Haus zu bleiben oder die Drohung wahrzumachen und sie einfach zu erschießen.
Statt dessen war er losgefahren.
Und jetzt kam er sich ebenfalls überflüssig vor. Er irrte durch ein Gebiet, das er von der Nacht her kannte. Ob Tag oder Nacht, es hatte sich nicht viel verändert. Abgesehen von der tiefen Dunkelheit. Sie hatte einem dunklen, grünlichen Dämmerlicht weichen müssen. Wo es das Licht der Sonne schaffte, ein wenig tiefer durch die dichten Kronen zu dringen, sah der Wald so aus, als wären winzige Lampen angezündet worden, die ebenfalls einen grünlichen Schimmer bekommen hatten.
Diese Umgebung konnte keinem Menschen gefallen - und ihm noch weniger.
Sehr oft schaute er zu Boden. An manchen Stellen zeigte er Dellen, die richtig feucht schimmerten, als wären sie vom Riesenfuß eines Monstrums hinterlassen worden.
Nein, diese Umgebung war nichts für ihn. Und der Gedanke an die alten Götter trug auch nicht dazu bei, seine Stimmung zu heben. Grüne Fäden wehten durch die Luft. Dünn wie Spinnweben streiften sie sein Gesicht und ließen ihn schaudern.
Er schaute sich um. So wie er reagierte ein Gehetzter, der überall seine Feinde wußte, sie aber nicht sah. Den Revolver hielt er in der schweißfeuchten rechten Hand. Immer wieder stellte er sich die Frage, weshalb er sich gerade dies antat.
Cameron wußte es nicht.
Es mußte an seinem Trieb liegen, immer alles perfekt machen zu wollen und auch über alles informiert zu sein. Dieser Wald hatte ihn geärgert. Er hatte es tatsächlich geschafft, ihm seine Stärke zu zeigen, und genau das gefiel ihm nicht. Cameron wollte nicht, daß jemand stärker war als er. Es gehörte eben zu einem übersteigerten Selbstbewußtsein, das wohl jeder Killer hatte.
Es gab in seiner Umgebung kein Ziel, auf das er die Waffe hätte richten können. Die Monstren der vergangenen Nacht waren längst verschwunden. Abgetaucht, falls es sie überhaupt gegeben hatte und sie keine Einbildung gewesen waren.
Er hörte jeden Schritt.
Dann drang das Echo als dumpfes Klopfen an seine Ohren. Er hatte auch den Eindruck, als würde das Erdreich leicht vibrieren, wenn es den Druck bekam.
»Scheiße, ich mache mich selbst verrückt!« flüsterte er und atmete wieder die scharfe Luft ein. Sie klebte an und in ihm.
Gesehen hatte er nichts. Sein kleiner Ausflug weg von den beiden Grabsteinen hatte ihm nichts gebracht. Deshalb wollte er auch wieder zurückgehen und sich vor allen Dingen um Greta Kinny kümmern. Nur sie wußte über diesen Wald Bescheid, denn er war das, was sie liebte.
Unter dem Druck der Waffe würde sie ihm alles erzählen, und das nahm er sich als nächstes Ziel vor.
Er war nur eine Runde gegangen. Nicht mal eine große. Aber die schon sehr nahe zusammenstehenden Bäume hatten ihm den Blick ständig auf das Ziel verwehrt. Einen besonderen Baum hatte er sich als Fixpunkt eingeprägt. Es konnte eine Eiche sein. Sie hatte einen mächtigen Stamm, dessen Rinde eine dunkelbraune, beinahe schon schwarze Farbe zeigte und ihn wieder an die schaurigen
Weitere Kostenlose Bücher