0975 - Burning Man
Dinge geschehen, doch nicht alle hingen mit meiner Aufgabe zusammen. Ich musste abwarten und beobachten. Doch wie es aussieht, habe ich zu lange gewartet, und mein Feind hat mich überlistet.«
Seit die Welt aus dem Gleichgewicht geraten ist?, wiederholte Nicole in Gedanken. Wieder fragte sie sich ob - und wenn ja, wie viel - der alte Wächter vom Untergang der Hölle und dem daraus entstandenen Ungleichgewicht zwischen Gut und Böse wusste? »Was ist mit der Welt geschehen?«, fragte sie vorsichtig.
»Die Dunkelheit ist verschwunden. Vor einiger Zeit geschah etwas, und plötzlich war sie fort. Doch das darf nicht sein. Licht braucht immer auch Dunkelheit, sonst sieht niemand, wie hell es strahlt. Der neue Tag ist nichts Besonderes, wenn es keine Nacht gibt, die er stets aufs Neue vertreiben kann. Doch nun kehrt die Dunkelheit zurück und fordert Opfer. Sie will das Licht verdrängen und allein herrschen. Auch das darf nicht sein. Die Welt muss wieder in Einklang gebracht werden.«
Nicole speicherte diese Informationen für später ab. Nun galt es erst einmal, diesen speziellen Teil der Dunkelheit zurückzudrängen. »Wie ist es der Macht, die Sie bewachen sollten, überhaupt gelungen zu entkommen?«, wollte sie wissen.
»Sie hatte Hilfe. Die Gier einiger Menschen ist groß genug, um vor nichts zurückzuschrecken. Mein Traum zeigte mir, wie es geschehen ist. Das Böse wurde gerufen, um zu dienen. Das war ein großer Fehler, denn das Böse dient niemandem . Es macht seinen vermeintlichen Meister schnell zum Sklaven und übernimmt die Kontrolle.«
»Wie bekämpfen wir es?«
»Wir brauchen einen weiteren Krieger. Dein junger Freund muss uns helfen, der Geistermann.«
»Brad?«, entfuhr es Nicole. »Der arme Kerl ist doch nur zufällig ins Kreuzfeuer geraten. Ich denke wirklich, dass wir ihn da raushalten sollen.«
»Der Große Geist lässt nichts zufällig geschehen. Der Junge wurde von Kojotes Pfeil getroffen. Er hat nun eine Aufgabe im großen Kampf.«
»Lassen Sie mich raten«, murmelte Nicole. »Das haben Sie ebenfalls in Ihrem Traum gesehen?«
»Natürlich«, antwortete der Alte wie selbstverständlich. »Unsere Träume führen uns durchs Leben und offenbaren uns Wahrheiten. Wir müssen sie nur richtig deuten.«
»Also schön, was muss er tun?«
»Er ist das Gefäß für die Macht, die das Böse besiegen kann.«
»Wird er das überleben?«, fragte Nicole besorgt.
»Vermutlich. Sofern das Böse besiegt wird und er stark genug ist, um den magischen- Kräften, die durch seinen Körper fließen werden, zu widerstehen.«
»Na großartig«, knurrte Nicole. »Er wird sicher begeistert sein, wenn er das hört.«
»Wenn er ein wahrer Krieger ist, wird er sich nicht fürchten und seine Pflicht erfüllen«, war alles, was ihr Gegenüber dazu zu sagen hatte.
»Und wie bekommen wir die Macht für den Kampf in Bra-… das Gefäß?«
»Es gibt ein altes Ritual. Es ist fast in Vergessenheit geraten, weil es sehr lange nicht mehr durchgeführt wurde. Doch ich kenne den Ablauf und kann es anwenden. Allerdings brauche ich dafür das Blut desjenigen, der für diese Katastrophe verantwortlich ist.«
»Sie meinen denjenigen, der das Böse gerufen und dann die Kontrolle darüber verloren hat?«, hakte Nicole nach.
»So ist es«, bestätigte der Alte.
»Und wie sollen wir diese Person so schnell finden?«
»Ich weiß bereits, wer es war. Silvio De Luca.«
»Der Besitzer des Indian Spirit Casinos?« Nicole war überrascht. »Tja, wenigstens hat ihm seine dämliche Aktion das Geschäft versaut. Aber wenn Sie wissen, dass er es war, warum haben Sie sein Blut dann nicht schon längst?«
»Weil es nur ein Krieger besorgen kann. Ich bin der Wächter, ich habe andere Aufgaben.«
»Natürlich«, sagte Nicole seufzend. »Wie dumm von mir, etwas anderes anzunehmen.«
»Das Anerkennen der eigenen Dummheit ist der erste Schritt auf dem Weg zur Erkenntnis.«
»Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie ihn an einen Glückskeks erinnern?«
Der Indianer würdigte ihren Kommentar noch nicht einmal mit einem kurzen Zucken der Mundwinkel. Stattdessen griff er in seine stets präsente Kiste und zog vorsichtig einen kurzen Dolch hervor. Der Griff war mit gefärbten Lederstreifen und winzigen bunten Steinen verziert. Die Klinge wirkte ungewöhnlich. Sie war nicht aus Metall oder Stein, sondern aus einem weißlichen Material - aus Knochen, wie Nicole schnell erkannte. Sie schimmerte matt, und Nicole hatte keinen Zweifel, dass sie
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