098 - Horrortrip ins Tal der Toten
hatte, wurde von allen Seiten mit zustimmendem Gemurmel bestätigt.
„Haben Sie eine Erklärung?“
Der Bürgermeister wies auf das schluchzende Mädchen. „Die Bärli will etwas gesehen haben. Wenn es der Wahrheit entspricht …“
Er bekreuzigte sich.
„Was?“
„Vor einer Woche, Herr Dayton, hatten wir hier ein schreckliches Massensterben. Wegen giftiger Pilze.“
„Ich kenne den Fall. Und?“
„Bärlis Freund, nein, sie waren schon verlobt, jedenfalls: Er starb auch. Mit den anderen wurde er auf dem Friedhof beigesetzt.“
„Ja, und?“
„Vorhin hat sie ihn gesehen.“ „Gesehen?“
„Vielleicht haben Sie die Schreie gehört.“
„Deshalb bin ich ja hier.“
Der Bürgermeister nickte. „Drei von uns wurden getötet. Wir wußten nicht, was plötzlich geschah. Reißende Bestien schienen unter uns zu sein. Einige sahen diese – Wesen. Es ist, als seien die Toten auferstanden. Und unter ihnen … Als alles in die Häuser flüchtete, brachte sich auch Bärli in Sicherheit. Dabei lief sie ihm fast in die Arme. Sie sah ihn deutlich. Plötzlich war er vor ihr, ihr Bräutigam. Starr vor Schreck konnte sie sich nicht rühren. Dann sprach sie ihn an. Aber er knurrte wie ein Tier und griff nach Bärli. Dabei hat er die Zähne gebleckt und… Ein Sprung rettete sie. Als sie floh, folgte er ihr. Und er war schneller. Im letzten Moment fand sie hier Schutz. Sonst wäre sie verloren gewesen.“
Es ist Wahnsinn! Henry ballte die Fäuste. Aber es ist Wirklichkeit. Himmel, wie kann das geschehen?
„Herr von Laydell“, sagte er, „hat einige junge Burschen als Gespensterdarsteller engagiert. Sind die schon zum Schloß gegangen?“
„Sind sie nicht“, antwortete der Bürgermeister. „Sie hatten zuletzt Bedenken und wollten nicht mehr.“
„Der Anführer dieser Ungeheuer hätte mich fast getötet“, berichtete Henry. „Ein riesiger Kerl mit rotem Bart und glimmenden Augen. Er muß ungeheuer stark sein.“
Eine Frau schrie erschreckt auf. Abwehrend hob der Bürgermeister die Hand. Geraune lief durch den Raum.
„Meinen Sie Jonas Korniff?“
„Woher soll ich das wissen? Ich kenne ihn nicht.“
Wieder bekreuzigte sich der Bürgermeister. „Der Himmel mag uns beistehen. Die Toten erheben sich und werden zu Bestien. Das ist das Ende von uns allen. Jonas Korniff haßt jeden, der hier lebt. Wissen Sie das nicht?“
„Was ist mit diesem Kerl?“
Der Bürgermeister zog ein Taschentuch hervor und trocknete sich die schweißfeuchten Hände.
„Jonas Korniff war 38 Jahre alt, als er vor zwei Wochen starb. Das heißt, er wurde erschossen. Von einem Gendarm, der es aus Notwehr tat. Sonst hätte Korniff ihn umgebracht. Er war ein schlechter Mensch. Den Teufel hatte er im Leib. Immer schon. Er stammt von hier und war Bergführer. Der stärkste Mann der Gegend, nicht nur des Tals. Dann brach er einem Nebenbuhler das Rückgrat und mußte vor der Polizei fliehen. Er war in der Fremdenlegion. Nach zwölf Jahren kam er zurück. Die Polizei kümmerte sich nicht mehr um ihn. Hier wagte niemand, an das Vergangene zu erinnern. Er wilderte in den Bergen. Zwei Forstbeamte wurden unter mysteriösen Umständen tot aufgefunden. Man munkelte, er habe sie erschlagen und dann, um einen Unfall vorzutäuschen, in die Schlucht gestürzt. Nachgewiesen wurde ihm nichts. Er trank auch. Im Rausch stürzte er sich auf den Gendarm, vor zwei Wochen, hier im Gasthaus. Es hatte keinen Grund dafür gegeben. Als hätte ihn der Blutrausch gepackt, schmetterte er den Beamten an die Wand, zückte sein Messer und hätte ihn getötet. Aber der Gendarm, der wegen einer anderen Sache hier war, gehörte zu den Zähen, die nicht so leicht aufgeben. Obwohl schwer verletzt, machte er von seiner Waffe Gebrauch. Korniff starb an einem Bauchschuß. In einer Ecke des Friedhofs wurde er begraben. Getrauert hat niemand um ihn. Nicht mal seine alte Mutter, die ihn schon vor Jahren verstieß.“
Raus hier, war Henrys einziger Gedanke. Ehe ich überschnappe. Die spinnen alle. Wir leben im zwanzigsten Jahrhundert. Es gibt keinen Spuk, keine schwarze Magie, keine Hexerei, keine Geistererscheinungen, kein … Seine Gedanken stockten. Gibt es das wirklich nicht? Wissen wir alles? Kennen wir alle Naturgesetze? Jeden Ablauf im unendlichen Universum? Können wir alles erfassen – mit unseren bescheidenen fünf Sinnen, mit unserem Verstand, der zwar erkennt, was vernünftig ist, aber die Menschen nur selten befähigt, danach auch zu handeln?
„Bleibt alle
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