0988 - Die Magnetfrau
gewordenen Sitze drängten, und andere, die keinen Platz bekamen, stehenblieben.
Sie umgab die normale Welt innerhalb eines U-Bahn-Wagens, und trotzdem empfand sie diese anders. Sie fühlte sich distanziert, wie jemand, der nicht mitten in ihr stand und zu ihr gehörte, sondern außen vor war.
Wie eine Beobachterin.
So etwas war ihr noch nie passiert, und sie fragte sich, womit es zusammenhing.
Lag es wieder an dieser anderen und schon unerklärlichen Kraft, die einen immer stärkeren Einfluß gewann und sich auf zwei verschiedene Arten bemerkbar machte?
Celia wußte es nicht. Sie drängte sich noch mehr zusammen, als wollte sie in den Sitz hineinkriechen. Und sie hoffte nur, daß die magnetische Kraft nicht die Oberhand gewann.
Dann würde es schlimm aussehen. Dann saß sie hier fest. Sie wußte auch nicht, ob sie dank dieser Kraft die elektrische Energie der U-Bahn beeinflussen konnte. Es wäre fatal gewesen, wenn der Zug plötzlich auf freier Strecke gestoppt hätte. Womöglich in einem Tunnel.
Den Schweiß konnte Celia nicht mehr zurückhalten. Wie winzige Kügelchen drang er aus ihren Poren, um sich auf dem Gesicht und dem Körper zu verteilen. Eine bohrende Furcht hielt sie umklammert, und sie fühlte sich selbst wie eine andere Person.
War sie verändert?
Es gab keinen Spiegel in der Nähe, in dem sie dies hätte feststellen können, so schaute Celia in die Gesichter der anderen Fahrgäste, um an deren Reaktion zu erkennen, ob ihnen etwas an ihr aufgefallen war.
Sie schielte in die Höhe, aber es war wie immer. Zwar sah sie die Gesichter der unterschiedlich alten Menschen nicht so klar, wie sie es sich gewünscht hätte, aber sie erkannte doch die übliche Gleichgültigkeit der Menschen. Auch bedingt durch die stoische Fahrerei, denn Abwechslung gab es hier nicht.
Manche lasen Zeitung, andere wiederum starrten einfach nur ins Leere.
Es gab kaum Unterhaltungen und auch wenig Typen, die Terror machten.
Das war einfach nicht die Zeit. Am Abend oder in der Nacht sah es schon anders aus.
Ich muß hier raus! Ich kann nicht länger in diesem verdammten Wagen bleiben! Celia spürte den inneren Druck. Sie war noch ein Mensch, aber das ANDERE in ihr verstärkte sich immer mehr und war von ihr kaum zu stoppen.
Etwas hatte sie eingeholt. Etwas, mit dem sie niemals gerechnet hatte, das tief in ihr begraben lag. In einer Kinderzeit, an die sich wohl niemand erinnerte.
Jetzt kam es hoch.
Es war ihr fremd, doch gleichzeitig nah und auf irgendeine Art und Weise bekannt.
In ihrem Kopf hatte sich ebenfalls etwas verändert. Sie hörte ein Brummen oder Zischeln, dann auch hell klingende Laute, als hätte jemand mit einem harten Gegenstand auf dünnes Metall geschlagen, und sie glaubte auch, sich an Stimmen erinnern zu können, die tief in ihrem Hinterkopf aufklangen.
Sie fürchtete sich. Der Schweißausbruch hielt an. Sie wischte über das Gesicht, stöhnte leise, beugte sich nach vorn und schüttelte den Kopf.
Links neben ihr bewegte sich der Teenie mit den gelben Haaren. Auch die Turnschuhe rutschten über den Boden, sogar hektischer als zuvor.
Celia wollte nicht mehr auf dem Platz sitzen. Der Drang aufzustehen, wurde übermächtig. Wie eine alte Frau quälte sie sich hoch. Dabei hielt sie den Kopf gesenkt, schaute aber nach links zurück und sah in das grinsende Gesicht der Kleinen, die höchstens sechzehn war.
»He, hast du Probleme?«
Celia schüttelte den Kopf.
»Wenn du kotzen mußte, dann dreh dich nur nicht um. Ich will nicht sehen, wie dir die Suppe aus dem Mund sprudelt.«
Celia nickte nur, drückte den Körper nach vorn und fand an einer Stange Halt.
Da blieb sie stehen, wenn auch mit weichen Knien. Sie hatte den Eindruck, jeden Stoß und jedes Schütteln des Wagens doppelt so stark mitzubekommen, aber nicht nur in den Beinen, diese Schläge erwischten sie bis in die Stirn hinein, wo sie dann zu explosionsartigen Stichen wurden. Etwas kribbelte über ihren Körper - oder war es innen?
So genau konnte Celia es nicht feststellen, aber die fremde Kraft war wieder in ihr. Es würde beginnen, sie wußte es, und sie konnte sich nicht dagegen wehren.
Wann endlich erreichte der Zug die nächste Station? Es war für sie wichtig, da mußte sie raus, sonst passierte hier noch ein Unglück. Die junge Frau drehte sich ein wenig zur Seite. Jetzt gelang ihr der Blick aus dem Fenster.
Die Tunnelwände waren Schatten und huschten vorbei. Hin und wieder erschien ein Licht, aber es sah so fern aus, als wäre
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