0991 - Der Kopf des Vaters
Carinas Haar war sehr dunkel. Allerdings wäre es ohne Färbung grau gewesen. So ließ sie es einmal im Monat nachfärben. Das Schwarz machte sie jünger.
Wegen des dunklen Haars wirkte ihre Haut vielleicht noch blasser, als sie es schon war. Etwas teigig mit runden Wangen, wobei die Nase leicht gekrümmt vorstand. Ein weiches, rundes Kinn, ein kleiner Mund und dunkle Augen.
An ihrem Ausdruck war abzulesen, welche Energie in dieser Person steckte. Und sie hatte auch nicht vor, so bald zu sterben. Gewisse Dinge mußten noch in die Hände genommen werden. Zeit genug war vorhanden.
Sie schaute sich im Spiegel länger an als gewöhnlich und stand auch nicht mehr so gebückt da, sondern kerzengerade.
Die Frau nickte sich selbst zu, denn sie war eigentlich mit sich zufrieden.
Nicht alle Personen in ihrem Alter sahen noch so jung aus und kamen auch so gut in der Welt zurecht. Da war sie schon etwas Besonderes, wobei sie wiederum zugab, daß es schließlich lange genug gedauert hatte, um die Geheimnisse zu lüften, die ihr Mann bisher immer versteckt gehalten hatte.
Jetzt war sie an der Reihe. Und sie würde mit der Wucht eines Dampfhammers zuschlagen und dabei endlich die Macht über Emilio erlangen.
Außerdem hoffte sie, daß ihre Tochter alles begriffen hatte, jetzt wo der Wechselbalg, dieser uneheliche Sohn einer Hexe und ihres Mannes nicht mehr lebte.
Sie war an der Reihe, denn sie allein hatte das Erbe übernommen. Es stand ihr zu.
Carina wandte sich vom Spiegel ab. Das Licht ließ sie brennen, als sie auf die Kellertreppe zuging. Dabei lächelte sie kalt. Dort unten verbarg sie ihr eigentliches Geheimnis, das war inzwischen zu ihrer neuen Welt geworden.
War die Treppe nach oben aus Holz gebaut worden, so nahm sie die Steinstufen, die in die Tiefe führten. Grau wie alte Asche sahen sie aus.
Das Licht verlor sich allmählich, aber auch die letzte Stufe war noch zu erkennen. Sie endete dicht vor der Kellertür.
Carina Sargassö merkte sehr wohl, daß dahinter eine kühlere Welt lag.
In den Felsen wurde es nie warm. Selbst im heißesten Sommer konnte man sich dort unten abkühlen, was ihr schon so manches Mal geholfen hatte. Mochte sie das Land noch so lieben, der Süden Spaniens war schon verdammt heiß und oft so trocken, daß sich die Bewohner vorkamen wie in einer Wüste.
Der Schlüssel steckte von außen. Die Tür war offen, und die Frau zog sie auf.
Auf der Schwelle blieb sie stehen, schaute in die Finsternis hinein, die auf der einen Seite normal war, auf der anderen aber nicht, denn ihr wehte etwas entgegen, das schwer zu erklären war und eigentlich nicht in den Keller gehörte.
Feuchte, klamme oder kühle Luft wäre hier normal gewesen. Sie war auch vorhanden, aber sie wurde von einem anderen Geruch durchdrungen, den man eher in einer alten Leichenhalle erwartete. Es war der Geruch von verwesendem Fleisch…
Carina schluckte, und ihr Gesicht verzerrte sich für einen Moment, bevor sie sich überwand und in den kalten, finsteren und stinkenden Keller ging.
Es war der Ort des Todes, des Grauens, aber für sie der liebste Spielplatz und zugleich der Ort, an dem sich Carina Sargassö am wohlsten fühlte.
Hier hatte sie den Anfang gemacht, hier hatte es eigentlich begonnen, und sie kicherte, wenn sie daran dachte. Es war für sie alles gut gelaufen, denn sie konnte sich als Siegerin fühlen.
Carina Sargasso streckte den Arm aus und schaltete das Licht ein. Sie lächelte, und der Schein hatte ihren Augen einen kalten Glanz verliehen.
Ebenso kalt wie der Glanz der Machete, die an der Wand hing.
Braune Blutflecken zeichneten sich auf der Machete ab.
Das Blut eines Geköpften.
Carina streichelte die Waffe. Sie sprach mit ihr. Sie küßte den Stahl. Sie war einfach hingerissen. So wie sie die Machete liebte, so liebte die Mutter ihr Kind, und so streichelte sie es auch, wenn sie ihm etwas Gutes tun wollte.
Mit dem Zeigefinger glitt die Frau über die scharfe Schneide hinweg.
Etwas zu heftig, denn schon ein leichter Druck reichte aus, um die Haut an einer bestimmten Stelle platzen zu lassen. Blutstropfen quollen aus dem Spalt und wurden rasch weggeleckt.
Mein Blut ist soeben geflossen, dachte Carina, mein Blut. Aber es floß nicht viel Blut, nur wenige Tropfen. Anders als bei meinem Mann. Bei ihm spritzte es bis an die Decke, als ich ihn killte. Sie schaute bei diesem Gedanken in die Höhe, als wollte sie noch an der Decke die hinterlassenen Flecken suchen.
Das Licht war hell, aber nicht grell.
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