0991 - Der Kopf des Vaters
ihn in einen entsprechend großen Karton gestellt und ihrer Tochter geschickt.
Wahnsinn? Die Tat einer nicht zurechnungsfähigen Person? Darüber hatte Carina auch nachgedacht, allerdings sah sie sich nicht als unzurechnungsfähig an, sonst hätte sie keine Pläne mehr machen können. Das Verschicken des Kopfes war schon geplant gewesen, denn sie wollte ihre inzwischen vierzigjährige Tochter endlich von diesem Sockel der Unerfahrenheit herabholen und ihr beweisen, wie es tatsächlich um ihre Eltern bestellt gewesen war.
Es war nur nach außen hin eine Ehe gewesen. Tatsächlich aber hatte die Verbindung nicht mehr aus Liebe, sondern aus reinem Haß bestanden, und der kann oft stärker sein.
Es machte dieser Frau überhaupt nichts aus, den kopflosen Gatten anzuschauen. Was für andere ein Bild des Schreckens und des Grauens gewesen wäre, nahm sie wie eine Belohnung hin. Er konnte ihr nichts mehr tun, nicht mehr drangsalieren, ihr nichts mehr befehlen, sie nicht mehr nach seiner Pfeife tanzen lassen. Sie hatte die neuen Zeichen gesetzt, und sie hatte gewonnen.
Es war wie ein Wunder über sie gekommen, und endlich konnte sie durchatmen.
Manchmal hatte Carina Stunden neben der Leiche verbracht. Sie hatte sogar einen Stuhl neben den Trog gestellt, um keine müden Beine zu bekommen. Immer nur angestarrt hatte sie den Toten, aber mit den Gedanken war sie woanders gewesen. Sie hatte daran gedacht, welche Hölle ihr Zusammenleben mit diesem Emilio gewesen war und wie gut es ihr jetzt ging, denn sie konnte nun allein sein.
Für immer.
Bis zum Tod!
Carina beugte sich vor. Bei dieser Bewegung spürte sie schon den Rücken, und sie fluchte leise darüber, denn so war schon zu merken, daß sie allmählich alt wurde.
Sie kümmerte sich um die Hand des Toten, denn sie allein war wichtig.
Diese Hand zeigte ihr den Zustand der Verwesung an. An ihr konnte sie ablesen, wann ihr ehemaliger Gatte spätestens zu einem Skelett geworden war.
Noch sah die Leiche ziemlich normal aus. Zwar hatte die Haut die Farbe verloren, sie fühlte sich auch anders an, aber sie riß noch nicht.
Wer konnte schon sagen, welches Getier in den Felswänden lauerte und sich demnächst über den Leichnam hermachte. Es gab genügend Lücken und Spalten…
Alles war gut. In ihrem Sinne stimmte es. Carina konnte zufrieden sein.
Und ihre Tochter wußte auch Bescheid. Wie hatte sie ihren Vater früher angehimmelt und geliebt. In ihm hatte sie immer das große Vorbild gesehen, und natürlich war dieser eitle Kerl darauf angesprungen.
Carina hatte als Mutter stets unter diesem Verhältnis gelitten. Stumm gelitten, nie etwas gesagt, aber in ihrem Innern brannte ein Fegefeuer, das nicht zu löschen war.
Jetzt hatte sie es gelöscht und auch die Tochter geschockt. Ihr hatte Emilio sein Lebenswerk überschrieben, denn den Zirkus hatte er immer als solches betrachtet.
Diese Zeiten waren endgültig vorbei. Und ich habe dafür gesorgt, dachte die Frau, als sie sich aufrichtete und dabei ein Lächeln um ihre Lippen spielte.
Sie atmete die schlechte Luft durch die Nase ein. Schwindel spürte sie nicht. Es ging ihr gut. In England hatte sie sich in der Zeit kurz vor dem Verlassen des Landes stets unwohl gefühlt. Das war, hier in Spanien verschwunden. Es ging ihr prächtig. Noch besser würde es ihr bald gehen, wenn sie ihre Tochter in den Kreislauf mit einbezog. Sie war davon überzeugt, daß sie so schnell wie möglich hier eintreffen würde.
Wahrscheinlich nicht allein, denn sie hatte sich auch nicht getraut, die Mutter anzurufen.
Die Frau spreizte die Arme zu den Seiten ab und reckte sich. Die schlechte Luft machte ihr überhaupt nichts aus. Hätte es sein müssen, sie hätte hier unten sogar geschlafen.
Dann zuckte sie zusammen.
Die Arme befanden sich noch in dieser unnatürlichen Haltung, als sie das Geräusch vernommen hatte.
Ein fremder Laut.
Einer, der nicht in den Keller hineingehörte, denn hier war sie allein.
Hinter ihr. Im Rücken. Sie traute sich kaum in die Drehung hinein, aber sie konnte auch nicht auf der Stelle stehenbleiben, weil sie eben wissen mußte, was dort geschah.
Carina Sargasso drehte sich um.
Und sie sah den Kopf!
***
In den Magen war die Frau ihr ganzes Leben noch nicht geschlagen worden. So wie sich sich jetzt vorkam, so mußte sich jemand fühlen, der einen Treffer in diese bewußte Stelle erhalten hatte. Die Luft wurde ihr knapp, sie schaffte es nicht einmal, Atem zu holen, denn die Umgebung des Magens war
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